Auswirkungen des CO2-Grenzausgleichsystems (CBAM) auf den Eisen- und Stahlsektor

Am 1. Oktober 2023 trat das CO₂-Grenzausgleichsystem (Carbon Border Adjustment Mechanism – CBAM) in Kraft. Als Maßnahme zur Begrenzung der Verlagerung von CO₂-Emissionen (Carbon Leakage) ergänzt das Instrument das Europäische Emissionshandelssystem (EU-EHS), indem es einen CO₂-Preis für importierte Waren festlegt, der dem CO₂-Preis für im Inland produzierte Waren entspricht. CBAM führt eine Reihe von Berichts- und Einhaltungspflichten für Importeure von Waren in die Europäische Union ein.

Warum ist CBAM notwendig?

CBAM zielt darauf ab, das Risiko für Carbon Leakage im Rahmen des EU-EHS zu verringern. Carbon Leakage beschreibt das Phänomen, bei dem Klimapolitik die Wettbewerbsfähigkeit inländischer Hersteller gegenüber umweltschädlicheren ausländischen Herstellern einschränkt, die von weniger strengen Vorschriften profitieren. Es besteht dann die Gefahr, dass die Industrie in Länder mit niedrigeren Umweltstandards abwandert. Die Emissionen würden exportiert statt gemindert, und die heimische Wirtschaft verbleibt geschwächt.

Im Rahmen des EU-EHS erhalten regulierte Unternehmen, bei denen ein Carbon-Leakage-Risiko besteht, kostenlos Emissionszertifikate in Abhängigkeit von ihrer Emissionsintensität im Verhältnis zu einem sektoralen Benchmark. Auf diese Weise wird der Wettbewerbsnachteil der europäischen Klimapolitik abgemildert. Die Zuteilung kostenloser Zertifikate läuft bis 2034 aus, ab dann wird CBAM diese Aufgabe übernehmen.

Was ist der Mechanismus & Anwendungsbereich von CBAM?

CBAM ist während der Übergangsperiode von Oktober 2023 bis Ende 2025 auf ausschließlich Berichtspflichten beschränkt. Importeure oder indirekte Zollvertreter, die CBAM-Waren in die EU einführen, sind verpflichtet, die bei der Herstellung von CBAM-Waren und deren Vorprodukten entstehenden Emissionen (graue Emissionen) zu berechnen und zu melden.

Der Zeitraum der vollständigen Anwendung des CBAM beginnt 2026. Ab diesem Zeitpunkt müssen die Importeure CBAM-Zertifikate erwerben. Der Preis der CBAM-Zertifikate ist an den Preis der Emissionszertifikate im EU-EHS gekoppelt, der derzeit bei etwa 85 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent liegt und bis 2030 voraussichtlich zwischen 100 und 150 Euro liegen wird. Jeder CO2-Preis, der bereits in den Herkunftsländern fällig wird, reduziert die Anzahl der abzugebenden CBAM-Zertifikate (Abbildung 1). Dieser Mechanismus gleicht den Kohlenstoffpreis für ausländische und inländische Waren an, die auf dem EU-Markt verkauft werden. Im Vergleich zum System der kostenlosen Zuteilung erhöht CBAM nicht nur die Einnahmen der EU aus dem EU-EHS, sondern schafft auch Anreize für ehrgeizige Kohlenstoffpreise und die Dekarbonisierung der Industrie im Ausland.

Abbildung 1 CBAM-Wirkungsweise. Quelle: carboneer.

CBAM deckt derzeit sechs Sektoren ab, auf die etwa 50 % der Emissionen im EU-EHS entfallen: Aluminium, Zement, Elektrizität, Düngemittel, Wasserstoff sowie Eisen & Stahl. Im Eisen- und Stahlsektor werden derzeit 478 KN-Waren (Kombinierte Nomenklatur) zu 8 aggregierten Warenkategorien zusammengefasst, die ähnliche Produktionswege, Systemgrenzen und Vorläuferstoffe aufweisen.

Bis spätestens Ende 2024 wird die EU-Kommission weitere Produkte entlang der Wertschöpfungskette von CBAM-Waren für eine mögliche Aufnahme in die Verordnung identifizieren. Ab Januar 2028 und anschließend alle zwei Jahre wird die Effektivität von CBAM bewertet und über die mögliche Aufnahme weiterer Sektoren in CBAM beraten.

Was sind die CBAM-Verpflichtungen für Importeure?

Um ihre CBAM-Verpflichtungen zu erfüllen, müssen sich Importeure oder indirekte Zollvertreter vor der Einfuhr von CBAM-Waren in die EU als autorisierte CBAM-Anmelder registrieren lassen. Für jedes Kalenderjahr müssen die regulierten Unternehmen die in den Importen enthaltenen Emissionen nach der weiter unten beschriebenen Methode berechnen und die Ergebnisse in der CBAM-Erklärung bis zum 31. Mai des Folgejahres mitteilen. In diesen Erklärungen können die Importeure auch eine Verringerung der abzugebenden CBAM-Zertifikate beantragen, wenn im Herkunftsland bereits ein Preis auf Emissionen gezahlt wurde. Die in den CBAM-Erklärungen enthaltenen Informationen müssen von unabhängigen Gutachtern verifiziert werden, die im Rahmen der EU-EHS-Verordnung akkreditiert sind. Weiterhin müssen Importeure einen Zugang zum CBAM-Register einrichten. Auf dieser Plattform werden die Daten über die grauen Emissionen an die Behörden übermittelt und CBAM-Zertifikate gekauft und eingereicht.

Die Verpflichtung zur Einreichung von CBAM-Zertifikaten wird schrittweise bis 2034 eingeführt. In der Übergangszeit müssen keine CBAM-Zertifikate gekauft werden. Erst mit der vollständigen Anwendung von CBAM im Jahr 2026 müssen die Importeure CBAM-Zertifikate abgeben. Die Anzahl der abzugebenden CBAM-Zertifikate steigt proportional zum Auslaufen der kostenlosen Zuteilungen im EU-EHS: 2026 müssen regulierte Unternehmen CBAM-Zertifikate für 2,5 % ihrer grauen Emissionen abgeben. Dieser Anteil steigt schrittweise an, bis er im Jahr 2034 100 % erreicht.

Wie werden graue Emissionen berechnet?

Generell müssen die CBAM-Anmelder sowohl die direkten Emissionen aus dem Produktionsprozess als auch die indirekten Emissionen aus der Erzeugung der im Produktionsprozess verwendeten Energie berücksichtigen. In der CBAM-Richtlinie sind einige Güter (auch aus dem Eisen- und Stahlsektor) aufgeführt, bei denen nur die direkten Emissionen zu berücksichtigen sind, da einige Produktionsanlagen von den EU-Ausgleichszahlungen für höhere Strompreise profitieren. Für die eigentliche Berechnung der direkten Emissionen können die Verpflichteten eine der beiden Methoden anwenden:

  1. Der berechnungsbasierte Ansatz, bei dem die in der Produktion verwendeten Rohstoffe und Inputs mit Berechnungsfaktoren wie dem netto Heizwert oder Emissionsfaktoren kombiniert werden.
  2. Der messungsbasierte Ansatz, bei dem die Emissionen durch kontinuierliche Messungen des Abgasstroms und der Treibhausgaskonzentrationen in den Abgasen bestimmt werden.

Wenn die CBAM-Anmelder nicht über die erforderlichen Daten zur Durchführung der Berechnungen verfügen, können sie auf Standardwerte zurückgreifen, die als Emissionsfaktoren verwendet werden. Die Standardwerte sollen bis Ende 2023 veröffentlicht werden. Die EU hat bereits eine erste Studie veröffentlicht, die die Unterschiede in den Emissionsintensitäten zwischen der EU und ihren Handelspartnern für CBAM-Waren aufzeigt (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2 Emissionsintensität für CN code 7217 10 – Wires of non-alloy steel. Der Wert für Weißrussland basiert auf dem sekundären Produktionsweg. Quelle: Vidovic et al. (2023).

CBAM-Anmelder können auch ihre Lieferanten auffordern, sich als Betreiber aus einem Drittland im CBAM-Register registrieren zu lassen. Sie können die oben genannte Berechnungsmethode auf ihren Output anwenden und eine Prüfung gemäß den EU-EHS-Standards durchführen lassen. Die Lieferanten können dann die Informationen über ihre grauen Emissionen an die CBAM-Anmelder weitergeben, die ihrerseits diese Informationen in ihren CBAM-Erklärungen verwenden können.

Welche Regeln gelten während des Übergangszeitraums?

Die EU ist sich der Herausforderungen für Unternehmen bewusst, und führt den Mechanismus schrittweise mit einer Übergangsperiode vom 1. Oktober 2023 bis zum 31. Dezember 2025 ein. Die Übergangszeit soll allen Beteiligten, einschließlich Importeuren, Herstellern und Behörden, als Test- und Lernphase dienen. Ihr Zweck ist es, Daten über graue Emissionen zu sammeln, um die Methodik für den Zeitraum der vollständigen Anwendung ab 1. Januar 2026 zu verbessern. Die CBAM-Verpflichtungen beschränken sich während des Übergangszeitraums auf die Berichterstattung (Abbildung 3).

CBAM-Anmelder müssen anstelle von jährlichen CBAM-Erklärungen vierteljährliche CBAM-Berichte einreichen. Der erste Bericht, der die grauen Emissionen aus dem vierten Quartal 2023 abdeckt, muss bis zum 31. Januar 2024 eingereicht werden. Die Anforderungen an die Berechnung und die allgemeine Berichterstattung werden in der Übergangsphase etwas gelockert: Neben der oben beschriebenen Berechnungsmethode (EU-Methode) stehen für die Übergangsphase zwei weitere Methoden zur Verfügung:

  1. Bis zum 31. Dezember 2024 können graue Emissionen über nationale Systeme von Drittländern ermittelt werden, wie z. B. Kohlenstoffpreissysteme oder Überwachungssysteme.
  2. Bis zum 31. Juli 2024 können graue Emissionen auch ausschließlich anhand von Standardwerten aus der EU oder anderen Ländern ermittelt werden, wenn die Berechnungsmethoden übereinstimmen.

In der Übergangsphase müssen Unternehmen sowohl über direkte als auch über indirekte Emissionen berichten. Die oben erwähnten Ausnahmen für indirekte Emissionen in der Eisen- und Stahlindustrie gelten nur für den Zeitraum der vollständigen Anwendung der CBAM-Regeln. Sanktionen können verhängt werden, wenn der Anmelder keinen korrekten oder vollständigen CBAM-Bericht vorlegt. Die Strafen liegen zwischen 10 und 50 EUR pro Tonne nicht gemeldeter Emissionen.

Abbildung 3 CBAM Zeitplan. Quelle: carboneer.

Welche unmittelbaren Aufgaben ergeben sich für Unternehmen?

Bis zum Zeitraum der vollständigen Anwendung dauert es noch über zwei Jahre. Schon jetzt können Sie Ihr Unternehmen vorbereiten, um die rechtlichen Verpflichtungen des Übergangszeitraums zu erfüllen und einen Vorsprung für den Zeitraum der vollständigen CBAM-Anwendung zu erarbeiten:

  • Ermitteln Sie, welche Ihrer Importe den CBAM-Vorschriften unterliegen. Setzen Sie sich mit Lieferanten und Herstellern in Verbindung, um Emissionsdaten für importierte Waren zu sammeln. Sammeln Sie Informationen über Kohlenstoffpreisregelungen in den Ursprungsländern Ihrer CBAM-Waren.
  • Lassen Sie sich als CBAM-Anmelder registrieren oder lassen Sie Ihren indirekten Zollvertreter registrieren.
  • Erhalten Sie Zugang zum CBAM-Übergangsregister. Dies ist die Schnittstelle für Regulierungsbehörden und regulierte Unternehmen während der Übergangszeit.
  • Lernen Sie den Umgang mit der von der EU veröffentlichten CBAM-Meldevorlage.
  • Einrichtung von Prozessen zur Sammlung von Emissionsdaten und Bereitstellung von Personalkapazitäten für die Bearbeitung von CBAM-Aufgaben.
  • Nutzen Sie die Preisprognose für die EU-Emissionsrechte und die Prognosen zu grauen Emissionen, um die mittelfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen der CBAM-Vorschriften auf Ihre Lieferkette und Ihr Unternehmen zu beurteilen.
  • Verstehen Sie die Auswirkungen von CBAM auf Ihre Lieferkette und bewerten Sie Ihr Preis- und Regulierungsrisiko in verschiedenen Ländern.

Mit der Einführung von CBAM spielt die Emissionsüberwachung und -berichterstattung zusammen mit der Bepreisung von CO2 eine immer wichtigere Rolle für Nicht-EU-Produzenten und Importeure. Die Verpflichtungen zur Emissionsberichterstattung während des Übergangszeitraums von CBAM sind für viele Unternehmen neu erfordern eine umfassende Vorbereitung. Die Vorschriften zu CBAM werden in den kommenden Jahren weiterentwickelt und sollten von Erzeugern aus Drittländern und der EU sowie von Händlern und Importeuren gleichermaßen genau beobachtet werden. Weitere CBAM-Durchführungsbestimmungen werden kontinuierlich veröffentlicht. Beispielsweise zur Beschaffung von Ökostrom über Strombezugsverträge (PPAs) oder zu aktualisierten Produktlisten, die den CBAM-Verpflichtungen unterliegen. Letztlich benötigen Unternehmen einen strategischen Ansatz für diese neuen Realitäten des globalen Handels und der Dekarbonisierung.

Quelle:
Vidovic, D., Marmier, A., Zore, L. and Moya, J., Greenhouse gas emission intensities of the steel, fertilisers, aluminium and cement industries in the EU and its main trading partners, Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2023, doi:10.2760/359533, JRC134682.

Carbon Management in Deutschland (II): Emissionen, Potenziale und Kosten für CCUS

In diesem zweiten Artikel der Serie über Kohlendioxidabscheidung, -nutzung und -speicherung (CCUS) in Deutschland analysiert carboneer die Emissionsprofile der deutschen Industrie und die damit verbundenen CCS-Potenziale und -Kosten. Lesen Sie den ersten Artikel über die Entwicklungen zu Carbon Management in Deutschland aus klimapolitischer Perspektive hier. Folgen Sie carboneer, um Zugriff auf alle Artikel zum historischen und politischen Kontext des Themas und zu Entwicklungen und Auswirkungen auf die Sektoren Stahl, Zement, Kalk, Chemikalien und Müllverbrennung zu haben.

Fokus auf industrielle Emissionen

CCUS-Aktivitäten im Energiesektor, insbesondere bei Stromerzeugung in Kohle- und Gaskraftwerken, werden höchstwahrscheinlich keinen Einzug in die Carbon Management Strategie (CMS) Deutschlands finden, da diese auf residuale, schwer zu dekarbonisierende und prozessbezogene Emissionen im Industriesektor ausgerichtet ist. Dennoch ist der Energiesektor der größte Verursacher von deutschen CO2-Emissionen: Im Jahr 2021 emittierte der Energiesektor 238 Mt CO2, was 35% der Gesamtemissionen entspricht. Die meisten Emissionen aus bestehenden Kohle- und Gaskraftwerken dürften jedoch durch erneuerbare Quellen oder die Nutzung von grünem Wasserstoff ersetzt werden, was den Anwendungsbereich für CCUS begrenzt. Dennoch hat auch dieser Sektor Potenzial, hauptsächlich durch CCUS-Anwendungen in Müll- und Biomassekraftwerken.

Der Schwerpunkt von CCUS-Aktivitäten wird daher auf dem Industriesektor liegen, dem zweitgrößten Verursacher von CO2-Emissionen in Deutschland. Im Jahr 2021 waren industrielle Anlagen für 168 Mt CO2-Emissionen verantwortlich, was 25% der Gesamtemissionen entspricht. Der größte Teil der industriellen Emissionen stammt von großen Anlagen, die dem EU Emissionshandelssystem unterliegen, sowie von Müllverbrennungsanlagen. Diese Anlagen emittierten im Jahr 2021 insgesamt 137,8 Mt CO2 (vgl. Abbildung 1), wobei die größten Anteile aus der Stahlproduktion (31,5 Mt), der Müllverbrennung (23,3 Mt), der Zementproduktion (20,1 Mt), dem Chemiesektor (16,9 Mt) und Kalkherstellung (6,4 Mt) stammen.

Figure 1: Anteile der CO2-Emissionen aus deutschen Industriesektoren (Anlagen im EU Emissionshandel) und aus der Müllverbrennung im Jahr 2021 (Quelle: carboneer, Datenquelle: DEHSt (2022), EEA (2022))

Das CCS-Potenzial im Industriesektor in Deutschland

Dreiviertel der Industrieemissionen stammen aus dem Energieverbrauch und sollen vor allem durch erneuerbare Energien und Energieeffizienzmaßnahmen reduziert werden. Etwa ein Viertel der industriellen Emissionen sind prozessbezogen und kommen aus der Verwendung kohlenstoffhaltiger Materialien in der Produktion. Prozessemissionen sind schwer zu vermeiden, und die fünf großen Klimaneutralitätsstudien für Deutschland (siehe Teil I) betonen die bedeutende Rolle von CCUS für die Emissionsminderung und von CO2-Recycling in der Industrie.

Bei der Berechnung des CCS-Potenzials ist zu beachten, dass nicht alle prozessbezogenen Emissionen abgeschieden werden können. Abhängig von Branche und der Verteilung der Emissionsquellen liegt der Anteil abscheidbarer Emissionen zwischen 45% in der Chemieindustrie und 90% für Müllverbrennungsanlagen. Nach dieser Methodik beläuft sich die Menge der technisch abscheidbaren CO2-Emissionen aus großen Industrie- und Müllverbrennungsanlagen in Deutschland auf 44,2 Mt (vgl. Abbildung 2).

Figure 2: CCS-Potenzial in ausgewählten Sektoren (Quelle: carboneer)

Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Machbarkeit und alternativer technologischer Wege zur Dekarbonisierung schrumpft das letztlich relevante CCS-Potenzial noch weiter. Während Emissionen bei Herstellung von Kalk und Zement und bei der Müllverbrennung abgeschieden werden müssen, da es an technologischen Alternativen mangelt, könnte grüner Wasserstoff die primäre Dekarbonisierungsroute für die Stahlproduktion werden. Die Chemieindustrie wird weiterhin auf kohlenstoffhaltige Materialien angewiesen sein, um Grundchemikalien herzustellen, könnte jedoch auf biogene und atmosphärische Kohlentstoffquellen umstellen oder auf recyclierten Kohlenstoff aus anderen Industriesektoren setzen. Eine detailliertere Analyse der verschiedenen Sektoren und ihrer Attraktivität für CCUS wird in zukünftigen Artikeln dieser Serie folgen.

Infrastruktur und Kosten

Um den Transport von abgeschiedenem CO2 zu potenziellen Speicherstandorten oder Verbrauchern zu ermöglichen, ist geeignete Infrastruktur erforderlich. Die Entwicklung der CO2-Transportinfrastruktur ist entscheidend für den Erfolg von Carbon Management, und das Tempo ihrer Entwicklung kann den gesamten Fortschritt von CCUS-Anwendungen erheblich beeinflussen. Bis 2030 sind in Deutschland erste groß angelegte CO2-Transportinfrastrukturen erforderlich. Der Transportmodus hängt dabei von Menge und dem beabsichtigten Verwendungszweck des CO2 ab. Transport per Schiene, Lastwagen, Schiff und Pipelines können geeignete Optionen sein. Pipelines sind besonders für große Industriestandorte und CCUS-Cluster geeignet, wenn erhebliche Mengen CO2 über längere Strecken zu Speicheranlagen oder anderen Industriesenken transportiert werden müssen. Für dezentrale Standorte wie Kalk- und Zementwerke muss jedoch noch der effizienteste Umgang mit abgeschiedenen CO2 gefunden werden. Die lokale Herstellung synthetischer Kraftstoffe ist eine der möglichen Optionen. Ein landesweites CO2-Pipelinenetz, das alle Hauptemissionsquellen verbindet, wird sich in Deutschland voraussichtlich nicht entwickeln. Pipelines für große Industriecluster werden mittel- bis langfristig jedoch notwendig sein. Darüber hinaus arbeiten einige Öl- und Gasunternehmen bereits an der Entwicklung von Pipelines zum Export von in Deutschland abgeschiedenen CO2 zu Speicherstandorten in der Nordsee.

Die Kosten für CCS (einschließlich Abscheidung, Transport und Speicherung) sind über die verschiedenen Sektoren hinweg relativ homogen. Die derzeitige Nichtverfügbarkeit von Speicherkapazitäten in Deutschland macht eine Implementierung relativ teuer (vgl. Abbildung 3) im Vergleich zu einem Land wie dem Vereinigten Königreich, das besseren Zugang zu Speicherstandorten hat (z. B. in der Nordsee). Hohe Kosten von etwa 200 EUR/t CO2 für CCS-Anwendungen in Deutschland deuten bereits auf die Notwendigkeit von Anreiz- und Unterstützungsmechanismen hin, um das Carbon Management im industriellen Maßstab umzusetzen.

Figure 3: Durchschnittliche CCS-Kosten in EUR/t CO2 in Deutschland und im Vereinigten Königreich (Quelle: carboneer, Datenquelle: CATF, 2022)

Politiker in Deutschland müssen die Entscheidung treffen, ob erschöpfte Erdgasreservoire und saline Aquifere in Norddeutschland und unter der deutschen Nordsee geeignete CO2-Speicherstandorte sind oder ob der Export von CO2 durch internationale Kooperation und die Speicherung in der Nordsee und der Norwegischen See eine politisch akzeptablere Option darstellt.

In den kommenden Artikeln dieser Serie untersuchen wir die Attraktivität der oben genannten Industriesektoren für CCS-Anwendungen anhand von Indikatoren wie dem regulatorischen Rahmen, konkurrierenden Dekarbonisierungsoptionen und anderen sektorspezifischen Merkmalen.

Dieser Artikel basiert auf einer Studie von carboneer für den Trade Commissioner Service der Botschaft von Kanada in Deutschland.

Quellen:
CATF (2022) The cost of carbon capture and storage in Europe. Available at: https://​www.catf.us​/​ccs-​cost-​tool/​ (Accessed: 27 March 2023).

DEHSt (2022) Treibhausgasemissionen 2021: Emissionshandelspflichtige stationäre Anlagen und Luftverkehr in Deutschland (VET-Bericht 2021). Available at: https://​www.dehst.de​/​SharedDocs/​downloads/​DE/​publikationen/​VET-​Bericht-​2021.pdf​?​__blob=​publicationFile&​v=​7 (Accessed: 27 March 2023).

EEA (2022) Industrial Reporting database, May 2022, 7 March. Available at: https://​www.eea.europa.eu​/​data-​and-​maps/​data/​industrial-​reporting-​under-​the-​industrial-​6 (Accessed: 27 March 2023).

Carbon Management in Deutschland (I): plötzlich klima- und industriepolitische Notwendigkeit?

Dies ist der erste Artikel einer Serie über das Potenzial der Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung (CCUS) in Deutschland, die carboneer in den kommenden Wochen veröffentlichen wird.

In diesem Artikel betrachten wir die Auswirkungen eines klimaneutralen Deutschlands im Jahr 2045 auf die Nachfrage nach Kohlenstoffmanagement und CCUS. Das Thema wurde in öffentlichen Debatten lange Zeit vernachlässigt, erlebt jedoch kürzlich eine Wiederbelebung. CCUS kann zwei Zwecke erfüllen: (i) die Dekarbonisierung industrieller Anlagen unterstützen und (ii) insbesondere die chemische Industrie mit CO2 als Rohmaterial für die Produktion von Grundstoffen versorgen.

Eine kurze Geschichte der CCUS-Politik in Deutschland

Während die Erforschung großtechnischer unterirdischer CO2-Speicherung im Jahr 2004 am Pilotstandort Ketzin nahe Berlin begann, sind industrielle Kohlenstoffmanagementaktivitäten in Deutschland bis heute praktisch nicht vorhanden. Die Richtlinie der Europäischen Union zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS Directive) von 2009 legte den Rahmen für die Umsetzung entsprechender nationaler Gesetzgebung in den Mitgliedsstaaten fest. Das deutsche Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) trat im August 2012 in Kraft (vgl. Abbildung 1), schaffte jedoch keine günstigen Bedingungen für CCUS-Anwendungen.

Die Debatte um CO2-Speicherung in Deutschland war zu dieser Zeit eng mit der Fortführung der Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken verbunden und stieß auf starken öffentlichen Widerstand. Die Ausweitung der erneuerbaren Energien stand im Mittelpunkt der Treibhausgasminderung, und CCUS-Anwendungen wurden insbesondere hinsichtlich Kosten- und Sicherheitskriterien als riskant angesehen. Unter dem Einfluss allgemeiner Skepsis gegenüber CCUS erlaubte das KSpG nur Anwendungen mit Speicherkapazitäten unter 1,3 Millionen Tonnen CO2, und die meisten Bundesländer verboten die unterirdische CO2-Speicherung. Bis zum gesetzlichen Stichtag für Projektanträge Ende 2016 wurde kein einziges kommerzielles Speicherprojekt entwickelt. In Deutschland ist es daher derzeit nicht möglich, CO2 unterirdisch zu speichern, und es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Abscheidungs- und Nutzungsprojekten (CCU).

Carbon Management ist in Deutschland erst kürzlich wieder in die politische Arena zurückgekehrt. Das industriell geprägte Nordrhein-Westfalen veröffentlichte 2021 seine Kohlenstoffmanagementstrategie, und die nationale Carbon Management Strategie wird derzeit vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) entwickelt. Wir haben die Themen der nationalen Carbon Management Strategie in diesem Artikel ausführlich behandelt.

Abbildung 1: Relevante Ereignisse für Carbon Management in Deutschland (Quelle: carboneer)

Kohlenstoffmanagement als zentrale Komponente der Klimaneutralität

Mit ehrgeizigeren Klimazielen auf EU- und deutscher Ebene wird immer deutlicher, dass Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts oder gar bis 2045 ohne groß angelegte Abscheidung, Nutzung und langfristige Speicherung von CO2 nicht erreicht werden kann. Während CCUS in der deutschen politischen Entscheidungsfindung langsam an Bedeutung gewinnt, kommt die akademische Forschung einhellig zum Schluss, dass Carbon Management – also CCUS sowie Kohlenstoffentnahmen aus der Atmosphäre (Carbon Removal) – notwendig ist, um die nationalen Klimaziele zu erreichen. Da der Stromsektor weitgehend durch den Ausbau erneuerbarer Energien dekarbonisiert werden kann, wird der Fokus von Carbon Management in Deutschland vor allem auf dem Industriesektor liegen. Insbesondere prozessbedingte Emissionen sind schwer zu reduzieren und können in manchen Fällen nur durch CCUS verhindert werden. Abbildung 2 zeigt die Prognosen von fünf Forschungsprojekten über die Mengen und Quellen von abgeschiedenem CO2 im Jahr 2045, also wenn Deutschland Klimaneutralität anstrebt.

Abbildung 2: CO2-Abscheidung nach Anwendung und Quelle im Jahr 2045 (2050 für BMWK) (Quelle: carboneer, Datenquellen: Agora: Prognos, Öko-Institut, Wuppertal-Institut (2021), BDI: BCG (2021), dena: Deutsche Energie-Agentur (2021), BMWK: Fraunhofer ISI et al. (2022), Ariadne: Luderer, Kost and Sörgel (2021))

Der Aufbau von Abscheidekapazitäten zwischen 35 und 70 Mt CO2 in verschiedenen Industriezweigen, also etwa 5-10 % der aktuellen deutschen Treibhausgasemissionen, erfordert gezielte und erhebliche Investitionen in den kommenden zwei Jahrzehnten. Diese Investitionen werden nur realisierbar, wenn eine entschlossene politische Entscheidung ein förderliches Investitionsumfeld sowie klare Regeln und Leitlinien zu nachfolgenden Themen schafft:

  • Anreizmechanismen für Abscheidung, Nutzung und Speicherung
  • Bereitstellung und Regulierung von Transport- und Speicherinfrastrukturen
  • Regulierung von CO2-Importen und -Exporten
  • Treibhausgas-Bilanzierung (insbesondere bei CCU-Projekten)

Vom Abfall zum Rohstoff: Wie viel Speicherbedarf für CO2 besteht tatsächlich?

Während wir in den kommenden Artikeln dieser Serie einen detaillierten Einblick in die Bedingungen und Dynamiken von CCUS in verschiedenen Industriezweigen geben, möchten wir bereits jetzt Erkenntnisse unserer Analyse vorstellen. Das technische Potenzial für die Abscheidung von CO2 in den relevanten Industrien (Stahl, Zement, Kalk, Chemikalien, Müllverbrennung) in Deutschland beträgt 40-50 Mt CO2. Hier berücksichtigen wir nur prozessbedingte Emissionen, da insbesondere die energiebedingten Emissionen durch andere Lösungen wie erneuerbare Energien, Elektrifizierung oder grünen Wasserstoff dekarbonisiert werden können und müssen.

Auf der anderen Seite wird der Bedarf an CO2 in der chemischen Industrie in Deutschland im Jahr 2045 auf etwa 50 Mt CO2 geschätzt. Dies weist bereits auf ein neues Paradigma und nötiges industrielles Ökosystem hin, in dem CO2 nicht unbedingt im Norden Deutschlands unter der Nordsee oder gar exportiert nach Norwegen, Dänemark oder den Niederlanden gespeichert wird. Ganz im Gegenteil, CO2 könnte eine knappe Ressource im industriellen Kohlenstoffkreislauf werden und die Nachfrage nach CCU-Projekten erhöhen. Darüber hinaus erlaubt das aktualisierte EU-Emissionshandelssystem den regulierten Unternehmen die Verwendung von CCUS anstelle der Abgabe von Emissionsrechten. Zweifellos erhöht diese Option die Relevanz und Nachfrage nach CCUS-Anwendungen.

Die Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwischen Politikbereichen und neuen industriellen Paradigmen ist entscheidend für ein erfolgreiches Kohlenstoffmanagement auf nationaler und EU-Ebene. Themen, die weitere Analysen erfordern, sind unter anderem:

  • Notwendige CO2-Transportkapazitäten innerhalb Deutschlands und Europas
  • Erforderliche Speicherkapazitäten in Europa
  • Qualitätskriterien von CO2 bei Transport und Nutzung
  • Synchronisierter Aufbau von Abscheidungs-, Transport- und Speicherkapazitäten
  • Entwicklung von Kohlenstoffmanagement-Clustern in der Industrie

Der nächste Artikel in dieser Serie über Carbon Management in Deutschland befasst sich mit den industriellen Emissionen, dem CCS-Potenzial in verschiedenen Branchen und den Kosten für CCS befassen. In der Zwischenzeit können Sie sich gerne mit Feedback und Fragen zum Thema an uns wenden.

Dieser Artikel basiert auf einer Studie von carboneer für den Trade Commissioner Service der Botschaft von Kanada in Deutschland.

Quellen:

BCG (2021) Klimapfade 2.0: Ein Wirtschaftsprogramm für Klima und Zukunft, Gutachten für den BDI. Available at: https://​web-assets.bcg.com​/​58/​57/​2042392542079ff8c9ee2cb74278/​klimapfade-​study-​german.pdf (Accessed: 25 March 2023).

Bundesregierung (2022) Evaluierungsbericht der Bundesregierung zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz: Drucksache 20/5145. Available at: https://​dserver.bundestag.de​/​btd/​20/​051/​2005145.pdf.

Deutsche Energie-Agentur (2021) dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität: Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Available at: https://​www.dena.de​/​fileadmin/​dena/​Publikationen/​PDFs/​2021/​Abschlussbericht_​dena-​Leitstudie_​Aufbruch_​Klimaneutralitaet.pdf (Accessed: 27 March 2023).

Fraunhofer ISI, Consentec and ifeu (2022) Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland: Modul 3: Referenzszenario und Basisszenario, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Available at: https://​www.langfristszenarien.de​/​enertile-​explorer-​en/​ (Accessed: 25 March 2023).

Luderer, G., Kost, C. and Sörgel, D. (2021) Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 – Szenarien und Pfade im Modellvergleich: PIK: Potsdam-Institut fur Klimafolgenforschung. Available at: https://​policycommons.net​/​artifacts/​1860013/​deutschland-​auf-​dem-​weg-​zur-​klimaneutralitat-​2045/​2607518/​ (Accessed: 28 March 2023).

Prognos, Öko-Institut, Wuppertal-Institut (2021) Klimaneutrales Deutschland 2045. Wie Deutschland seine Klimaziele schon vor 2050 erreichen kann: Zusammenfassung im Auftrag von Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende. Available at: https://​www.agora-energiewende.de​/​veroeffentlichungen/​klimaneutrales-​deutschland-​2045 (Accessed: 25 March 2023).

Carbon Removal auf dem Weg in den Mainstream? Der EU-Zertifizierungsrahmen für Kohlenstoffentnahme

Was ist der Zertifizierungsrahmen und warum ist er notwendig?

Im Dezember 2021 veröffentlichte die EU-Kommission ihren Beschluss über nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe (Sustainable Carbon Cycles), in welchem sie den Plan der EU zum Erreichen von Klimaneutralität bis 2050 unter anderem durch die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid aus verschiedenen Quellen präsentierte. Kernelemente sind:

  • Die Entwicklung eines Registers für die industrielle Kohlenstoffnutzung;
  • Die Festlegung eines Ziels für die Kohlenstoffbindung durch technologische Lösungen;
  • Stärkung einer klimaeffizienten Landwirtschaft zur Bindung von CO2 in Böden, um zum Ziel der Nettoentfernung von 310 Millionen Tonnen CO2-äq im Landsektor bis 2030 beizutragen.

Um die Umsetzung von Lösungen zur Kohlenstoffentnahme auszuweiten, ist es wichtig, einen Rechtsrahmen für die Zertifizierung von Carbon Removal Lösungen zu schaffen. Ende 2022 hat die Europäische Kommission weitere Informationen über den vorgeschlagenen freiwilligen und EU-weiten Rahmen veröffentlicht. Dieser EU-Zertifizierungsrahmen für Kohlenstoffentnahme (Carbon Removal Certification Framework – CRCF) adressiert einige noch offene Punkte. So, soll der CRCF durch die Einführung von Standards und Zertifizierungsverfahren Vertrauen aufbauen und damit Lösungen für die Kohlenstoffentnahme fördern, Konzepte für eine klimaeffiziente Landwirtschaft (carbon farming) unterstützen, und Greenwashing verhindern. Ebenso soll die Fähigkeit der EU zur Messung, Überwachung und Überprüfung von Kohlenstoffentnahmen gewährleistet sein und Finanzierungsmöglichkeiten aus öffentlichen und privaten Quellen angereizt werden.

Unter dem vorgeschlagenen Rahmen können Carbon Removal Projekte sowohl einen naturbasierten oder technologischen Ansatz verfolgen. Auch die Zertifizierung einer Kohlenstoffspeicherung in langlebigen Produkten oder Materialien ist möglich. Abbildung 1 gibt einen Überblick über verschiedene Methoden der Kohlenstoffentnahme, ihre konkrete Umsetzung und das finale Speichermedium für CO2.

Abbildung 1: Taxonomie der Kohlenstoffabscheidung (Quelle: IPCC)

Wichtig ist, dass Projekte zur Entnahme von Kohlenstoff im Rahmen der EU-Zertifizierung die QU.A.L.ITY-Kriterien erfüllen müssen. Sie müssen also:

  • QUantifizierbar und QUantifiziert sein;
  • Zusätzlichkeit (Additionality) zu den bestehenden Klimaeffekten aufweisen;
  • Langfristige Speicherung anstreben;
  • Zu weiteren Nachhaltigkeitszielen (sustainabilITY) beitragen.

In Anbetracht der häufigen Kritik an den Methoden und Praktiken an den freiwilligen CO2-Märkten ist die Schaffung eines Rechtsrahmens für Carbon Removal Aktivitäten von entscheidender Bedeutung. Diese Kritik bezieht sich häufig auf den Mangel an Aufsicht, Transparenz, Vertrauenswürdigkeit und Klimawirkung (Zusätzlichkeit) der Projekte und Zertifikate auf diesem Markt. All dies kann zu erheblichen Problemen für Unternehmen führen, die sich auf freiwillige CO2-Zertifikate verlassen, um Emissionen im Rahmen ihrer Klimastrategie auszugleichen oder zu neutralisieren, wie eine kürzlich durchgeführte Recherche gezeigt hat. Ein regulierter Markt hingegen könnte Vertrauen wiederherstellen, und auch sicherstellen, dass alle Projekte denselben Regeln in Bezug auf Buchführung, Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung unterworfen sind.

Wie würde der EU-Zertifizierungsrahmen funktionieren?

Der Zertifizierungsrahmen wird auf Kriterien und Zertifizierungsmethoden (Certification methodologies) beruhen, die von der EU-Kommission mit Unterstützung einer Expertengruppe entwickelt und voraussichtlich im Jahr 2024 veröffentlicht werden. Die Kommission erkennt dann private oder öffentliche Zertifizierungssysteme (Certification schemes) an, die Aktivitäten der Kohlenstoffentnahme registrieren, Audits und Zertifikate kontrollieren, öffentliche Register führen und auch die Carbon Removal Zertifikate ausstellen. Akteure (Operators), die Kohlenstoffentnahmen durchführen, wie etwa Landwirte, Biokohleproduzenten oder BECCS-Kraftwerksbetreiber, müssen von akkreditierten privaten Zertifizierungsstellen (Certification bodies) anhand der standardisierten Zertifizierungsmethoden auditiert werden. Erst nach einem erfolgreichen Audit und der Anerkennung durch das Zertifizierungssystem wird die Aktivität und die Kohlenstoffentnahme eines Akteurs zertifiziert (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Funktionsprinzip des Zertifizierungssystems (angepasst nach EU-Kommission)

Der aktuelle Vorschlag würde es der EU-Kommission erlauben, delegierte Rechtsakte zu erlassen, um die verschiedenen technischen Zertifizierungsmethoden festzulegen und die Regeln für die Zertifizierung und Anerkennung von Zertifizierungssystemen zu harmonisieren. Da es sich bei der Kohlenstoffentnahme um ein neues und sich rasch entwickelndes Feld handelt, müssen mit der Zeit sicherlich neue Zertifizierungsmethoden entwickelt werden.

Die nächsten Schritte zur Entwicklung der Methoden

Noch hat die EU-Kommission keine detaillierten Methoden oder Kriterien für die Kohlenstoffentnahme entwickelt. In den kommenden Monaten wird sich die externe Expertengruppe mit verschiedenen Carbon Removal Aktivitäten beschäftigen (die erste Sitzung fand am 7. März 2023 statt). Die Methodiken für eine klimaeffizienten Landwirtschaft (carbon farming) wird das Thema der nächsten Sitzung am 21. und 22. Juni 2023 sein werden. Der Zeitplan für die kommenden Sitzungen der Expertengruppe ist in Abbildung 3 dargestellt (Quelle: EU-Kommission).

Abbildung 3: Anstehende Sitzungen der Expertengruppe zur Kohlenstoffentnahme (Quelle: EU Kommission)

Der Vorschlag der Kommission muss auch vom Europäischen Parlament und vom Rat im Rahmen eines normalen Gesetzgebungsverfahrens angenommen werden. Ende April 2023 veröffentlichte der zuständige Ausschuss des Europäischen Parlaments seine erste Antwort mit Änderungsvorschlägen zum CRCF. Die Verbesserung der Überwachungs-, Haftungs- und Transparenzmechanismen und der Fokus auf langfristiges Carbon Removal sind für das Parlament prioritär, um qualitativ minderwertige Projekte zu verhindern. Die Antwort des Parlaments tritt für eine dauerhafte Kohlenstoffspeicherung auch außerhalb der EU-Mitgliedstaaten ein, sofern der Kohlenstoff in der EU entnommen und nach ähnlichen Regeln wie in der EU gespeichert wird. Dies würde den Weg für eine Berücksichtigung der geologischen Speicherung in Ländern wie Norwegen oder Island öffnen.

Unsere Einschätzung und zu lösende Herausforderungen

Der Vorschlag des EU-Zertifizierungsrahmens ist grundlegend zu begrüßen. Er gehört zu den ersten derartigen Zertifizierungsrahmen weltweit und betont die Notwendigkeit von Klimapolitik zur Förderung von Kohlenstoffentnahmen. Gleichzeitig setzt er auf Erfahrungen bestehender freiwilliger Kohlenstoffmärkte und fordert eine strenge und transparente Regulierungsaufsicht über die Zertifizierung von Carbon Removal Aktivitäten. Es müssen jedoch noch einige Fragen geklärt werden, um sicherzustellen, dass ein positiver Klimaeffekt von Carbon Removal im Rahmen des CRCF tatsächlich zum Tragen kommen kann: Die Kohlenstoffentnahmen durch naturbasierte Lösungen können kurzlebig sein, so dass die Klimaauswirkungen hier schnell wieder rückgängig gemacht sein könnten. Darüber hinaus ist noch unklar, wie mit den unterschiedlichen Risiken der Umkehrbarkeit der Kohlenstoffentnahme je nach Carbon Removal Tätigkeit umgegangen werden soll und welcher Akteur letztendlich (finanziell) verantwortlich sein wird.

Da es derzeit an Details zu den Methoden für die unterschiedlichen Carbon Removal Aktivitäten und auch entsprechenden Zertifizierungssystemen mangelt, sollte die EU-Kommission zusammen mit der Expertengruppe maßgeschneiderte Regeln für die verschiedenen Aktivitäten entwickeln. Besonders die Fragen der Umkehrbarkeit und der Haftungsmechanismen müssen dabei bedacht werden. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese Regeln und Methodiken in transparenter und kooperativer Weise unter Einbeziehung der Interessengruppen aus der gesamten Carbon Removal Branche entwickelt werden. Nur so ist sichergestellt, dass langfristige Lösungen der Kohlenstoffentnahme wirksam unterstützt werden und gleichzeitig klare Leitlinien für Haftung und Risikomanagement bestehen.

Sprechen Sie uns an, wenn Sie mehr über die vorgeschlagene Verordnung erfahren möchten und wissen wollen, wie sie sich auf Ihr Geschäftsmodell oder Ihre Kompensationsstrategie auswirkt.

Carbon Management und CCU/S in Deutschland

Die deutsche Bundesregierung erarbeitet zum Thema CO2-Speicherung und Nutzung derzeit eine Carbon Management Strategie. Denn, unstreitbar ist: Ohne die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 aus industriellen Prozessen (CCU/S) und der Atmosphäre kann Deutschland bis 2045 kaum klimaneutral werden. Grundlage für die Carbon Management Strategie ist unter anderem der neue Evaluierungsbericht zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz. In diesem Beitrag erläutern wir die wichtigsten Eckpunkte und Grundsätze einer solchen Strategie.  

Die CCU/S Nomenklatur

In Sinne einer einheitlichen Nomenklatur verwenden wir im Folgenden den Begriff Carbon Management als Überbegriff für den Umgang mit Kohlenstoff, der sowohl CO2-Abscheidung-, Transport- und Nutzung (CCU) oder -speicherung (CCS) von fossilen als auch biologischen oder atmosphärischen Quellen als Negativemissionen oder Carbon Dioxide Removal (BECCS und DACCS) beinhaltet. Ebenso ist der Umgang mit weiteren naturbasierten Lösungen zur Entnahme und Reduktion von Treibhausgasemissionen aus der Atmosphäre Teil des Carbon Managements (vergleiche Abbildung 1).

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Abbildung 1: Quellen und Senken von CO2-Emissionen der verschiedenen Bestandteile von Carbon Management (Quelle: carboneer)

Die Auswirkung auf das Klima und die technischen und ökonomischen Details der unterschiedlichen Technologien und Möglichkeiten sind komplex und bedürfen detaillierter Untersuchungen. Wenden Sie sich bei Interesse gerne an uns.

Carbon Management für Klimaneutralität notwendig

Anfang Januar 2023 reiste der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Norwegen, um dort weitere Kooperationen im Bereich Energie und Klima auszuloten. Ein wichtiger Bestandteil der Zusammenarbeit mit Norwegen soll dabei unter anderem das Thema Abscheidung-, Transport-, und Speicherung von CO2 werden. Im Zuge der verschärften Klimaziele auf EU und deutscher Ebene wird immer klarer, dass Treibhausgas- oder gar Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts ohne großtechnische Abscheidung, Nutzung und vor allem langfristige Speicherung von CO2 nicht zu erreichen sein wird. 

Gleichzeitig hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Dezember 2022 den Evaluierungsbericht der Bundesregierung zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) veröffentlicht. Das KSpG trat im August 2012 in Kraft und sollte erste Demonstrationsprojekte zur langfristigen Speicherung von CO2 im Erdboden in Deutschland erproben. Die Akzeptanz für die Speicherung von CO2 in Deutschland war in der Vergangenheit stets sehr gering, insbesondere da der Diskurs stark mit dem Einsatz von CO2-Abscheidung an Kohlekraftwerken und deren Weiterbetrieb verbunden war. Bis zum Ende der Frist zur Antragstellung für die Genehmigung neuer unterirdischer CO2-Speicher (Ende 2016) wurde jedoch nur ein Demonstrationsprojekt in Deutschland beantragt und gebaut. Da nach Ende 2016 keine neuen Anträge eingereicht werden können, ist die CO2-Speicherung im gesamten Bundesgebiet de facto nicht möglich. 

CO2-Abscheidung für Restemissionen in der Industrie

In Zukunft soll der Einsatz von CCS an Kohlekraftwerken in Deutschland aufgrund des geplanten Kohleausstiegs keine Rolle spielen, hingegen wird die Abscheidung-, Nutzung-, oder Speicherung von CO2 vor allem für eine klimaneutrale Industrie benötigt. So werden auch nach Einsatz erneuerbarer Energien oder Elektrifizierung große Mengen an prozessbedingte CO2-Emissionen etwa in der Kalk- und Zementindustrie oder in der Stahlindustrie anfallen. Ebenso ist Kohlenstoff die Ausgangsbasis für viele weitere wichtige Erzeugnisse in der Chemieindustrie und wird daher auch als Rohstoff benötigt. Im Projekt Langfristszenarien wird von etwa 30 Millionen Tonnen CO2 ausgegangen, die von industriellen Anlagen in Deutschland auch nach Erreichen der Klimaneutralität in 2045 abgeschieden, transportiert, wiederverwendet oder endgelagert werden müssen. Mögliche Standorte der Abscheidungsanlagen und Transportpipelines für CO2 sind in Abbildung 2 dargestellt.

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Abbildung 2: Mögliche CO2-Senken,- Quellen und -Netz in Deutschland in 2045 (Quelle: Langfristszenarien)

Hierbei fällt auf, dass sich in den Kerngebieten der deutschen Grundstoff- und Schwerindustrie Cluster von CCU/S-Standorten ansiedeln. Diese Clusterbildung ist vor allem ökonomischen Skaleneffekte für Infrastrukturen zur Abscheidung, dem Transport aber auch der potenziellen Wiederverwendung von CO2 geschuldet. Fokus der deutschen Carbon Management Strategie wird demnach vor allem auf dem Industriesektor und nicht auf der Abscheidung bei Kohleverstromung liegen.

Neben der Abscheidung von CO2 an industriellen Quellen muss jedoch auch der Einsatz von Carbon Removal Lösungen, also der physischen Entnahme von CO2-Emissionen aus der Atmosphäre forciert werden. Denn nur dadurch können auch die in 2045 weiterhin auftretenden Treibhausgasemissionen etwa aus der Landwirtschaft ausgeglichen werden. Die dafür notwendigen Negativemissionen liegen mit 45-80 Millionen Tonnen CO2 sogar auf einem höheren Niveau als die CO2-Abscheidungen in der Industrie. Wir haben die Details dazu hier und hier dargestellt.

Wichtige Grundsätze der deutschen Carbon Management Strategie

Dem Einsatz von CCU/S in der Industrie wird neben der Energie- und Ressourceneffizienz sowie dem Einsatz grüner Energieträger und der Elektrifizierung von Prozessen eine Rolle als Dekarbonisierungsoption zukommen. Wichtige Erkenntnisse aus den jüngsten Klimaneutralitätsstudien (Klimaneutrales Deutschland 2045, Klimapfade 2.0, dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität, Langfristszenarien) lassen folgende Einschätzungen zu:

  • Steigerung des Ambitionsniveau der Klimaziele führt zu verstärktem Einsatz von CCU/S
  • CO2-Abscheidung im Millionen Tonnen Bereich schon ab 2030 notwendig
  • Einsatz von CCS vor allem in der Industrie und dem Abfallsektor
  • Negativemissionen durch Carbon Dioxide Removal müssen spätestens ab 2030 skaliert werden
  • Die Permanenz der CO2-Entnahme und Speicherung durch naturbasierte Methoden ist unsicher und macht daher technische Lösungen ebenfalls notwendig
  • Fossiles CCU/S und technisches Carbon Dioxide Removal können gleiche Infrastrukturen nutzen und sollten integriert betrachtet werden
  • Transparenter und kontinuierlicher Dialog notwendig um gesellschaftliche Akzeptanz für den Hochlauf von CCU/S sicherzustellen
  • Erhebliche Mengen der CO2-Abscheidung auf globaler Ebene (6-12 Gt/Jahr je nach Szenario) auch durch CCS an fossilen Kraftwerken getrieben 

Der kürzlich veröffentlichte Evaluierungsbericht zum KSpG gibt der Bundesregierung folgende wesentlich Empfehlungen für die Überarbeitung mit: Prüfung und Anpassung von Regelungen des (grenzüberschreitenden) Transports von CO2 und bezüglich deutscher Endlagerstätten für CO2, die weitere Integration von CCU/S in das europäische Emissionshandelssystem (EU EHS), und die Entwicklung eines klaren Rahmens zur Bilanzierung von Negativemissionen. Die Details sollen in einer deutschen Carbon Management Strategie (Abbildung 3) durch die Bundesregierung herausgearbeitet und im Laufe des Jahres 2023 vorgestellt werden. 

Abbildung 3: Grundpfeiler für Carbon Management in Deutschland (Quelle: Bundesregierung)

Welche Themen müssen geklärt werden?

Im Zuge der deutschen Carbon Management Strategie soll zuerst eine Priorisierung von CCU/S Anwendungen erarbeitet werden. Dabei muss die Frage beantwortet werden, in welchen Industrien und welche Emissionen CCU/S-Maßnahmen am wichtigsten sind, um Ressourcen passgenau zu nutzen. Dies soll einhergehen mit der Anpassung der entsprechenden Regulatorik, etwa für Genehmigungsverfahren sowie der Entwicklung und Finanzierung von (Transport)Infrastrukturen. Auch Maßnahmen und Förderprogramme in speziellen Anwendungsgebieten sollen entwickelt werden.

Methodiken zum Monitoring, Reporting und Verifikation (MRV) für CCU/S müssen erarbeitet werden. So muss die Anrechnung von CCU/S im EU EHS und die Bilanzierung bei Verwendung von CO2 aus verschiedenen Quellen (fossil, industrieller Kreislauf, biogen, aus der Atmosphäre) in der chemischen Industrie und bei Herstellung von synthetischen Kraftstoffen geklärt werden.

Besonders die Möglichkeit des grenzüberschreitenden CO2-Transports wird EU-weit eine große Rolle spielen. Die norwegische Regierung hat diesbezüglich schon Angebote zur Speicherung von CO2 an die EU-Industrie herangetragen. Die Auslegung der Pipeline- und Schiffskapazitäten sowie Fragen der Netzregulierung und Finanzierung auf EU-Ebene sind dabei wichtige Themen. Die Synergieeffekte von CCU/S-Clustern zwischen Industrien als Quellen und Senken von CO2 müssen eruiert werden, um bei der Planung von Infrastrukturen die effizientesten Lösungen zu finden. 

Damit mögliche CO2-Speicher auch auf deutschem Gebiet (voraussichtlich eher unter dem Meeresboden als unter dem Festland) Realität werden, muss gesellschaftliche Akzeptanz für die Abscheidung und Endlagerung von CO2 aufgebaut werden. Dies kann nur durch klare und transparente Kommunikation bezüglich der Notwendigkeit von CCU/S für ein klimaneutrales Europa und Deutschland geschehen.  

Wir halten Sie bezüglich der aktuellen Entwicklungen zur deutschen Carbon Management Strategie auf dem Laufenden. Kontaktieren Sie uns gerne bei Fragen zum Thema. 

Größtes Update des EU-Emissionshandels seit Jahren, Teil II: EU EHS II, Einnahmen und Fazit

Ein Großteil der Klimaambitionen der EU hängt vom Europäischen Emissionshandelssystem (EU EHS) ab. Im Dezember 2022 erzielten der Europäische Rat und das Europäische Parlament wichtige Einigungen über die “Fit for 55”-Vorschläge. Konkret geht es um neue Regeln für das bestehende EU-Emissionshandelssystem (EU EHS I), die Einführung eines CO2-Grenzausgleichmechanismus (carbon border adjustment mechanism – CBAM) und die Einführung eines neuen EU-Emissionshandelssystems für Emissionen aus Gebäuden und dem Straßenverkehr. Mit der Umsetzung dieser Änderungen kann die EU ihren Klimazielen für 2030 ein gutes Stück näherkommen, aber es bleiben Fragezeichen. 

Im ersten Teil dieser Reihe haben wir uns mit den Änderungen für das EU EHS I, den kostenlosen Zuteilungen und CBAM beschäftigt. In diesem zweiten Artikel beleuchten wir das neue EU EHS II für den Straßenverkehr und Gebäude sowie die Verwendung der Einnahmen aus der Versteigerung von Emissionszertifikaten durch die Regierungen.

Das EU EHS II: Bepreisung von CO2-Emissionen von Gebäuden, Straßenverkehr und Kraftstoffen in anderen Sektoren  

Ein neues und separates Emissionshandelssystem soll für Emissionen eingeführt werden, die derzeit noch nicht in der gesamten EU bepreist werden. Dieses EU EHS II wird Emissionen aus dem Gebäudesektor, dem Straßenverkehr und der Verwendung von Kraftstoffen in anderen, noch nicht definierten Sektoren umfassen. Das EU EHS II wird jedoch frühestens ab 2027 in Kraft treten, und der Start könnte bei Auftreten von hohen Energiepreise später in diesem Jahrzehnt sogar bis 2028 verschoben werden. Es sind allerdings noch nicht alle Details des neuen Systems ausgearbeitet. Mitgliedstaaten können etwa Brennstofflieferanten vom EU EHS II ausnehmen, wenn ein nationales System existiert, das dem EU-System preislich entspricht oder darüber hinausgeht (siehe Abbildung 1 für den Zeitplan der Umsetzung des EU EHS II).

Abbildung 1: Zeitplan für die Umsetzung des EU EHS II (Quelle: carboneer)

Dies führt zu weiteren wichtigen, noch nicht vollständig geklärten Aspekten: Ab 2024 soll ein Emissionsminderungspfad mit einem hohen jährlichen linearen Reduktionsfaktor (LRF) von mehr als 5 % gelten, um bis 2030 eine Gesamtemissionsminderung der verpflichteten Sektoren von etwa 60 % gegenüber 2005 zu erreichen. Das EU EHS II wird jedoch erst ab 2027 Emissionen bepreisen. Weiterhin sollen zusätzliche Zertifikate in den Markt gegeben werden und das Angebot erhöhen, sobald die Preise für Emissionszertifikate im Rahmen des EU EHS II über einen bestimmten Zeitraum hinweg über 45 EUR/Tonne liegen. 

Tatsächlich wird das EU EHS II in der jetzt verhandelten Form zumindest bis 2030 eher einer Steuer auf Emissionen mit einem Höchstpreis von 45 EUR/Tonne ähneln. Nach dem Jahr 2030 ist keine Preisobergrenze mehr vorgesehen. Ein niedriger Preis von nur 45 EUR/Tonne  läge jedoch weit unter den tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten, die im Gebäude- und Straßenverkehrssektor zwischen 100-300 EUR/Tonne liegen. Es liegt auf der Hand, dass das Preissignal im EU EHS II nicht hoch genug sein wird, um allein Anreize zur Einführung treibhausgasarmer Technologien zu schaffen. 

Bei all diesen ehrgeizigen Zielen und neuen Preisregelungen ist eine Frage natürlich sehr wichtig: Wohin werden die Gelder aus EU EHS I, CBAM und EU EHS II fließen, und wofür werden sie verwendet? 

Auktionserlöse nur für Klima- und Sozialmaßnahmen

Die Allokation von Einnahmen für den bestehende Innovationsfonds zur Unterstützung der industriellen Dekarbonisierung wird von derzeit 450 Millionen auf 575 Millionen Emissionszertifikate (EUA) aufgestockt. Bei einem durchschnittlichen EUA-Preis von 90 EUR/Tonne entspricht dies einem Geldwert von mehr als 50 Milliarden EUR, welche in Dekarbonisierungsprojekte fließen sollen. Darüber hinaus müssen die Einnahmen der EU-Mitgliedsstaaten aus den Auktionserlösen vollständig für Klimamaßnahmen verwendet werden. Der Modernisierungsfonds für weniger wohlhabende Mitgliedsstaaten erlaubt jedoch immer noch bestimmte Investitionen in fossile Infrastrukturen.

Eine der größten Sorgen des Europäischen Parlaments war, dass die Einführung des EU EHS II vor allem wirtschaftlich schwächere Staaten und Bürger treffen wird. Daher sieht die aktuelle Einigung vor, dass die Hälfte der Einnahmen aus dem EU EHS II dem neu eingeführten Sozialen Klimafonds zugeführt wird. Dieser soll sozial schwache Haushalte und kleine Unternehmen bei der Bewältigung des Preisanstiegs von Brennstoffen durch die Emissionsbepreisung unterstützen. Der Fonds soll bereits 2026, ein Jahr vor Beginn der eigentlichen Bepreisung, seine Arbeit aufnehmen und ist zunächst bis 2032 angelegt. Er soll über ein Budget von rund 65 Milliarden EUR verfügen und die Mittel sollen für soziale Klimamaßnahmen wie der Renovierung von Sozialwohnungen oder direkten Einkommensbeihilfen verwendet werden. Die restlichen 50 % der Einnahmen gehen an die EU-Nationalstaaten, die das Geld auch für soziale Klimamaßnahmen im Gebäude- und Verkehrssektor verwenden müssen. Insgesamt werden damit geschätzt 87 Milliarden EUR bereitgestellt, um soziale Härten durch eine umfassendere Emissionsbepreisung zu verringern. Das hört sich nach einer riesigen Summe an, wird aber von den Ausgaben zur Linderung der aktuellen fossilen Energiepreiskrise in den Schatten gestellt: Allein Deutschland hat dafür bis zu 200 Milliarden EUR für Verbraucher in Aussicht gestellt.  

Was ist von all den Neuerungen zu halten?

Die Komplexität des EU-Emissionshandels wird durch Aufnahme zusätzlicher Sektoren, der schrittweisen Abschaffung der kostenlosen Zuteilungen, der Bepreisung von Importen über CBAM  und das neue EU EHS II für Sektoren, die derzeit überhaupt nicht bepreist werden sicherlich zunehmen. Abbildung 2 gibt einen Überblick über den gesamten Zeitplan für die Umsetzung der wichtigsten Änderungen. 

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Abbildung 2: Zeitplan für die Umsetzung der wichtigsten Änderungen an den europäischen Emissionshandelssystemen (Quelle: carboneer)

Akteure aus allen Sektoren müssen schon heute handeln, um zu verstehen, welchen Risiken sie durch die neuen Vorschriften und Emissionsbepreisungen ausgesetzt sind und wie sie sich darauf vorbereiten können. Unsere sieben wichtigsten Schlussfolgerungen sind die folgenden:

  1. Falls umgesetzt, haben die ehrgeizigeren Ziele des EU EHS I das Potenzial, die EU ihren Klimazielen für 2030 näherzubringen.
  1. Die schrittweise Abschaffung der kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten für die Industrie bedeutet für die Akteure ein viel höheres Emissionspreisrisiko und “echte” Anreize zur Dekarbonisierung der Industrie.
  1. Die Umsetzung von CBAM schafft Anreize für Klimamaßnahmen in Nicht-EU-Ländern, wird aber gleichzeitig auch für viel Verwirrung sorgen in Bezug auf die Messung, Berichterstattung und Überprüfung (MRV) von Treibhausgasen. Ebenso müssen Importeure auch das EU EHS I verstehen und schon jetzt mit Risiko- und Preisabsicherung beginnen.
  1. Bis 2026 wird das Angebot an Emissionszertifikaten im EU EHS I ausreichend bleiben, während die vollständige Umsetzung mehrerer Mechanismen ab 2027 zu höheren Preisen und einem geringeren Angebot an Zertifikaten führen wird.
  1. CO2-Preise von über 100 EUR/Tonne im EU EHS I werden in diesem Jahrzehnt das neue Normal, insbesondere wenn sich die makroökonomische Lage wieder stabilisiert. 
  2. Die Umsetzung des EU EHS II ist mit einer Preisobergrenze von 45 EUR/Tonne weniger ehrgeizig und wird die Dekarbonisierung in den fraglichen Sektoren wahrscheinlich nicht vor 2030 vorantreiben. 
  1. Das EU EHS II wird jedoch eine gemeinsame Grundlage für die Bepreisung von Emissionen in anderen Sektoren in der EU bieten und etwa 75 % der Emissionen aller Mitgliedsstaaten in ein Bepreisungssystem einbeziehen. 

Sprechen Sie uns an, wenn Sie mehr über das Thema erfahren möchten. carboneer unterstützt Sie in allen Fragen zu den bestehenden und kommenden Emissionshandelssystemen in der EU.

Größtes Update des EU-Emissionshandels seit Jahren, Teil I: EU EHS und CBAM

Ein Großteil der Klimaambitionen der EU hängt vom Europäischen Emissionshandelssystem ab. Im Dezember 2022 erzielten der Europäische Rat und das Europäische Parlament wichtige Einigungen über die “Fit for 55”-Vorschläge. Konkret geht es um neue Regeln für das bestehende EU-Emissionshandelssystem (EU EHS I), die Einführung eines CO2-Grenzausgleichmechanismus (carbon border adjustment mechanism – CBAM) und die Einführung eines neuen EU-Emissionshandelssystems für Emissionen aus Gebäuden und dem Straßenverkehr. Mit der Umsetzung dieser Änderungen kann die EU ihren Klimazielen für 2030 ein gutes Stück näherkommen, aber es bleiben Fragezeichen. In diesem Artikel erläutern wir einige der wichtigsten Änderungen und Aktualisierungen des EU EHS I und CBAM.

EU EHS I: Neuer Sektor, Rebasing und starke jährliche Kürzung

Derzeit deckt das bestehende EU-Emissionshandelssystem etwa 40 % der Emissionen der EU ab. Diese stammen aus den Energiesektor, Industrieanlagen und dem Luftverkehr. Der Seeverkehr wird als neuer Sektor in das EU EHS I integriert, und große Schiffe mit Bruttoregistertonnen von 5000 und mehr müssen schrittweise Emissionszertifikate (EUA) für einen immer größeren Anteil ihrer Emissionen abgeben: 40 % im Jahr 2024, 70 % im Jahr 2025 und 100 % im Jahr 2026. Die Einbeziehung von kleineren Schiffen und nicht-CO2-Emissionen wie Methan und N2O wird voraussichtlich ab 2026 erfolgen.

Neben dieser neuen Einbeziehung steigt das Gesamtziel der Emissionsreduzierung bis 2030 im Vergleich zu 2005 im Rahmen des EU-EHS I auf 62 % (Abbildung 1). Die am 18. Dezember 2022 erzielte Einigung würde somit zu einer Verringerung der CO2-Emissionen um etwa 23 Millionen Tonnen im Vergleich zum Vorschlag der EU-Kommission aus dem Jahr 2021 führen und ist wesentlich ambitionierter als das bisherige Minderungsziel von 40 %. Das Ziel ist zwar politisch ehrgeizig, liegt aber immer noch unter den notwendigen Emissionseinsparungen in der EU, um die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, selbst ohne Berücksichtigung von Fair-Share-Überlegungen.

Um diese stärkere Reduktion von 62 % zu erreichen, einigten sich die Gesetzgeber auf eine einmalige Reduzierung der Emissionsobergrenze („rebasing“): 90 Millionen EUA werden im Jahr 2024 aus dem Markt genommen, weitere 27 Millionen EUA folgen im Jahr 2026. Darüber hinaus wird die gesamte Emissionsobergrenze von 2024 bis 2027 jährlich um 4,3 % gesenkt. Ab 2028 wird dieser lineare Reduktionsfaktor (LRF) sogar auf 4,4 % steigen. Wie erwartet wird die Marktstabilitätsreserve (MSR) weiterhin 24 % der überschüssigen EUAs aufnehmen.

Abbildung 1: Emissionsminderungsziele im Rahmen des EU EHS I (Quelle: Europäische Union)

All diese Kürzungen werden zu einer erheblichen Verknappung des Angebots an EUA führen, die Preise in die Höhe treiben und Anreize für eine stärkere Dekarbonisierung insbesondere in den Industriesektoren schaffen. Dies bringt uns zu den Veränderungen für den Industriesektor.

Grundlegender Wandel für den Industriesektor

Die meisten Industriesektoren im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems haben bislang Anspruch auf eine kostenlose Zuteilung von EUAs. Auf der Grundlage von Benchmarks für eine effiziente und damit weniger emissionsintensive Produktion werden verschiedene Industrieanlagen auch weiterhin kostenlose Zertifikate erhalten. Allerdings wird das Benchmark-System im Jahr 2026 überarbeitet: Die Grundlage für die kostenlosen Zuteilungen wird dann nicht mehr ein Produktionsprozess, sondern das Produkt sein. Dies ermöglicht einen besseren Vergleich zwischen den Branchen. Darüber hinaus müssen Industrieunternehmen Energieaudits durchführen und entsprechende Dekarbonisierungsmaßnahmen umsetzen. Andernfalls werden die kostenlosen Zuteilungsmengen einer Anlage um 20 % gekürzt. Ebenso müssen Industrieanlagen, die in Bezug auf die Kohlenstoffintensität zu den schlechtesten 20 % einer Branche gehören, Dekarbonisierungspläne entwerfen und umsetzen. Andernfalls werden ihre kostenlosen Zuteilungen um 20 % gekürzt.

Die größte Änderung wird jedoch die schrittweise Abschaffung der kostenlosen Zuteilung für die Industrie als solche sein. Ab 2026 wird die Zahl der kostenlos an die Industrie vergebenen Zertifikate schrittweise reduziert. Ab 2034 muss die Industrie alle benötigten Zertifikate über die Versteigerung oder den Markt erwerben und die kostenlose Zuteilung wird der Vergangenheit angehören. Wie aus der nachstehenden Abbildung 2 hervorgeht, beginnt das Auslaufen der kostenlosen Zuteilung für die Industrie im Vergleich mit dem Flugverkehr relativ langsam und nimmt erst ab Ende des Jahrzehnts an Fahrt auf. Mit diesem Ansatz wird die Wirkung der notwendigen Preissignale für die industriellen Verschmutzer hinausgezögert, während die EU-Industrie die Möglichkeit hat, sich vorzubereiten und die Dekarbonisierung in den nächsten fünf Jahren ernsthaft voranzutreiben.

Abbildung 2: Anteil der kostenlosen EUA-Zuteilungen im Flugverkehr und der Industrie im Laufe der Zeit (Quelle: carboneer)

Die EU-Kommission geht davon aus, dass aufgrund des Auslaufens der kostenlosen Zuteilungen an die Industrie etwa 75 Millionen EUAs mehr versteigert werden, wodurch sich die Auktionseinnahmen erhöhen. Die Hälfte dieser Einnahmen soll in den EU-Innovationsfonds fließen, der genau diese Industriezweige bei der Umsetzung von Dekarbonisierungsprojekten unterstützt. Die andere Hälfte wird den EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, um ihre Exportindustrien zu unterstützen. Dies führt uns zur nächsten großen Aktualisierung, da das Auslaufen der kostenlosen Zuteilungen eng mit der Einführung des CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) verbunden ist.

CBAM: Bepreisung importierter Emissionen

Mit Abschaffung der kostenlosen Zuteilung von EUA an die europäische Industrie müssen gleichzeitig Importeure bestimmter Waren in die EU für die Emissionen ihrer Produkte bezahlen. Dieser CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) soll einerseits gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen EU- und Nicht-EU-Industrien für Produkte in der EU schaffen (beide zahlen einen ähnlichen Preis für ihre Emissionen) und die Klimaschutzambitionen in Nicht-EU-Staaten erhöhen (Klimainstrumente und Emissionsbepreisung im Ausland können die erforderlichen Zahlungen für Importeure verringern).

Zunächst wird CBAM die emissionsintensivsten Sektoren abdecken: Eisen und Stahl, Zement, Düngemittel, Aluminium und Strom. Nach den Verhandlungsergebnissen vom 13. Dezember 2022 soll CBAM jedoch auch Wasserstoff, bestimmte Vorprodukte und andere nachgelagerte Produkte wie Schrauben und Bolzen als Importe unter CBAM umfassen. Darüber hinaus wird die EU-Kommission prüfen, ob ab 2030 auch andere Produkte, bei denen die Gefahr einer Verlagerung von Kohlenstoffemissionen ins EU-Ausland besteht, wie organische Chemikalien und Polymere, in CBAM aufgenommen werden. Indirekte Emissionen der Produktionsstätte könnten ebenfalls Teil der Emissionen sein, die von den importierenden Unternehmen gemeldet und folglich bezahlt werden müssen. Ab Oktober 2023 müssen die Importeure in den erfassten Sektoren auf ihre Verpflichtungen zur Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung (MRV) vorbereitet sein, welche drei Jahre vor dem Preisbildungsmechanismus beginnen. Abbildung 3 zeigt den Zeitplan für die Umsetzung der CBAM.

Abbildung 3: Zeitplan für die CBAM-Umsetzung (Quelle: carboneer)

Bei CBAM gibt es noch zwei Hauptstreitpunkte:

  • Wie werden die Berichts- und Überprüfungsmethoden und -systeme für importierte Waren wirklich aussehen und funktionieren?
  • Wie können Unternehmen entschädigt oder unterstützt werden, die in der EU produzieren und EUAs kaufen müssen, aber in Nicht-EU-Länder exportieren, in denen es keine oder weniger ehrgeizige Emissionsbepreisung gibt?

Abgesehen von den Sektoren, die bereits unter das EU EHS I fallen, sind noch viele Emissionen aus anderen Bereichen in der EU nicht in ein Emissionspreissystem eingebunden. Nach großer Ungewissheit ist nun klar: Es soll auch ein neues oder zweites EU-Emissionshandelssystem (EU EHS II) eingeführt werden. Dies wird das Thema unseres zweiten Artikels sein.

Sprechen Sie uns an, wenn Sie mehr über das Thema erfahren möchten. carboneer unterstützt Sie in allen Fragen zu den bestehenden und kommenden Emissionshandelssystemen in der EU.

Welches Potenzial haben Negativemissionen in Deutschland?

Durch das aktualisierte deutsche Klimaschutzgesetz werden Negativemissionstechnologien (NETs) und Kohlenstoffentfernung aus der Atmosphäre notwendig (Lesen Sie als Hintegrund unseren vorangegangenen Artikel). Hier wollen wir die Frage klären, welche Lösungen dazu in Deutschland eingesetzt werden können und welches Potenzial sie haben. Die wichtigste Erkenntnis: Sowohl naturbasierte als auch technologische Lösungen zur Kohlenstoffentfernung werden im Megatonnen-Maßstab notwendig sein.

Neue Studien bestätigen Notwendigkeit der Kohlenstoffentfernung

Im Oktober 2021 wurden zwei neue Studien veröffentlicht, die Wege aufzeigen, wie Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann. Die dena-Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ der Deutschen Energie-Agentur und der Ariadne-Bericht im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Kopernikus-Projekts machen deutlich, dass erhebliche Mengen an negativen Emissionen erforderlich sind, um schwierig zu reduzierende Emissionen aus Landnutzung, Landwirtschaft oder Industrie auszugleichen. Abbildung 1 zeigt den jährlichen Bedarf an negativen Emissionen in Deutschland im Jahr 2045 unter Einbeziehung der Daten aus den neuesten Studien.

Abbildung 1: Erforderliche jährliche negative Emissionen in MtCO2-äq im Jahr 2045 in Deutschland (Quelle: cr.hub)

Die neuesten Zahlen sind mit denen aus früheren Studien vergleichbar. Allerdings herrscht noch keine Einigkeit darüber, wie viel Kohlenstoff Deutschland aus der Atmosphäre entfernen muss. So liegen die jährlichen Negativemissionen die ab 2045 notwendig sind zwischen 40 und 100 MtCO2-äq. Im Durchschnitt deuten die Studien auf einen jährlichen Bedarf an Kohlenstoffentfernung von etwas mehr als 74 Mt CO2-äq hin.

Nicht nur die wissenschaftliche Gemeinschaft betont die Notwendigkeit negativer Emissionen, auch Industriegruppen und -verbände nehmen das Thema zunehmend ernst. In einem kürzlich veröffentlichten offenen Brief an die neue Bundesregierung haben eine Reihe von Großunternehmen unter der Stiftung 2 Grad die Notwendigkeit betont, einen politischen Rahmen für ein aktives Management des Kohlenstoffkreislaufs zu schaffen und mit der Entwicklung von Lösungen zur CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) zu beginnen.

Welche Technologien für negative Emissionen werden benötigt?

Grob können wir zwischen naturbasierten und technologischen Lösungen zur Kohlenstoffentfernung unterscheiden. Die vorherrschende naturbasierte Lösung ist (Wieder-)aufforstung, aber auch die Renaturierung von Mooren, die verstärkte Bindung von Kohlenstoff in Böden durch veränderte landwirtschaftliche Praktiken oder auch der Anbau von Seetang im Meer fallen in diese Kategorie.

Auf der technologischen Seite liegt der Schwerpunkt derzeit auf der direkten Abscheidung und Speicherung von CO2 aus der Luft DACCS (Direct Air Capturing and Carbon Storage). In Frage kommen auch Hybridlösungen wie Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS) oder die Herstellung von Biokohle, bei welchen Biomasse verwendet wird und ein technisches Verfahren zur Abscheidung oder Bindung des Kohlenstoffs in einer nicht reaktiven Form zum Einsatz kommt.

Wir erläutern und vergleichen hier eine Reihe dieser NETs. Abbildung 2 zeigt, welche der verschiedenen NETs auf der Grundlage ausgewählter Studien dazu beitragen können, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Die Antwort auf die Frage, welche NETs und Lösungen zur Kohlenstoffentfernung benötigt werden, ist simpel: alle!

Abbildung 2: Vergleich der jährlichen Kohlenstoffentfernung aus der Atmosphäre in MtCO2-äq verschiedener NETs in aktuellen Studien in Deutschland im Jahr 2045 (Quelle: cr.hub)

Die unterschiedlichen naturbasierten Lösungen sind in Abbildung 2 in der Kategorie Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) zusammengefasst, die in den meisten Studien den größten Anteil der notwendigen Kohlenstoffentfernung ausmacht und oft nicht detaillierter betrachtet wird.

Darüber hinaus gehen die meisten Studien davon aus, dass erhebliche Kapazitäten technischer Lösungen, wie BECCS und DACCS erforderlich sind. Insbesondere für den Fall, dass naturbasierte Lösungen nicht in der Lage sind, diese Größenordnung von Kohlenstoffentfernung zu liefern, sind technische Lösungen erforderlich.

Exotischere Lösungen für Carbon Removal wie die Beschleunigte Verwitterung stehen kaum im Vordergrund. Die Verwendung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre als Ausgangsstoff für die Herstellung von grünem Naphtha oder Methanol und für langlebige Kunststoffprodukte liegt im Bereich von 10 MtCO2-eq. Es ist erwähnenswert, dass die verschiedenen Studien nicht unbedingt über das Potenzial oder die Kapazität der verschiedenen NETs übereinstimmen. Dies liegt auch daran, dass nicht alle Studien die gesamte Bandbreite an möglichen NETs berücksichtigen oder einen speziellen Fokus auf bestimmte Technologien und Senken legen.

Und nur zur Erinnerung: Im Jahr 2018 hat der LULUCF-Sektor in Deutschland nur 18 MtCO2-äq an negativen Emissionen geliefert (Quelle: dena). Das bedeutet, dass innerhalb der nächsten 23 Jahre eine Verdopplung bis Verdreifachung der jährlichen Kohlenstoffsenkenkapazität durch Wälder, Moorrenaturierung und Kohlenstoffbindung im Boden erreicht werden muss. Andernfalls wird die Abhängigkeit von bislang nicht skalierteten, technischen Lösungen noch größer.  

Potenzial negativer Emissionen in Deutschland

Wie oben dargestellt, gibt es keinen Königsweg oder eine NET, um den überschüssigen Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen und Deutschland bis 2045 wirklich klimaneutral zu machen. Vielmehr werden alle Lösungen und Technologien benötigt. Um einen besseren Überblick darüber zu erhalten, wie ein solches Portfolio der Kohlenstoffentfernung auf Landesebene aussehen kann, haben wir die Zahlen aus dem Ariadne-Projektbericht verwendet und die Potenziale der verschiedenen NETs verglichen. Abbildung 3 zeigt die Anteile der verschiedenen NETs in Deutschland im Jahr 2045 gemäß dem Bericht des Ariadne-Projekts mit einem Gesamtpotenzial von fast 110 MtCO2-eq.

Abbildung 3: Potenzieller Anteil verschiedener NETs in Deutschland bis 2045 nach Ariadne-Projekt, hellgrüner Keil repräsentiert LULUCF (Quelle: cr.hub)

Der hellgrüne Keil, der 46 Prozent des gesamten Potenzials negativer Emissionen ausmacht, repräsentiert den LULUCF-Sektor. Dieser lässt sich unterteilen in Waldsenken ((Wieder-)aufforstung), Kohlenstoffbindung im Boden und Kohlenstoffspeicherung durch veränderte landwirtschaftliche Praktiken wie Agroforstwirtschaft. Technologische Lösungen wie BECCS und DACCS machen 37 Prozent des gesamten Potenzials für Carbon Removal aus, Biokohle und verbesserte Verwitterung insgesamt 17 Prozent.

Der Weg in die Zukunft

Die jüngsten Ergebnisse der Klima- und Energiesystemmodellierung verschiedener Forschungsgruppen sind eindeutig: Die Entfernung von Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre spielt eine wichtige Rolle bei der Erreichung der deutschen Klimaziele. Im Jahr 2045 muss die Kapazität vorhanden sein, 10 Prozent der Treibhausgasemissionen, die Deutschland im Jahr 2020 emittiert hat, aus der Atmosphäre zu entfernen.

Das ist kein leichtes Unterfangen. Die Kapazität zur Kohlenstoffentfernung durch den LULUCF-Sektor beträgt heute nur ein Fünftel bis ein Viertel der in 2045 benötigten Negativemissionen. Weiterhin könnte der Klimawandel die Kohlenstoffspeicherkapazität naturbasierter Lösungen in den kommenden Jahrzehnten weiter mindern. Wenn natürliche Kohlenstoffsenken nicht ausreichen, werden technische und hybride Carbon Removal Lösungen wie BECCS, DACCS oder Biokohle wichtiger.

Die jüngsten Studien, die in diesem Artikel betrachtet werden, kommen zu unterschiedlichen Zahlen für die benötigten Kapazitäten und Potenziale der verschiedenen NETs, wie Abbildung 2 zeigt. Es ist wichtig, eine strukturierte Diskussion darüber zu beginnen, wie die Studien zu den Potenzialen und Kapazitäten der verschiedenen NETs kommen. Damit kann die Wissenschaft ein Verständnis für die Annahmen und die Möglichkeit für einen ganzheitlichen Modellierungsrahmen für negative Emissionen entwickeln.

Auf politischer Ebene sind die Ausarbeitung eines Rahmens für ein aktives Management des Kohlenstoffkreislaufs (Active Carbon Management) zusammen mit Maßnahmen zum Wissensaufbau und der Wiederaufnahme eines öffentlichen Dialogs über Carbon Removal und CCS als notwendige und wichtige Bestandteile auf dem Weg zur Klimaneutralität die wichtigsten Schritte. Darüber hinaus muss ein Prozess zur Überarbeitung der geltenden Vorschriften für die CO2-Speicherung und den CO2-Transport, möglicherweise grenzüberschreitend in einem europäischen Kontext, eingeleitet werden. Die deutschen Klimaziele sollten ebenfalls zwischen echter Emissionsreduzierung und Kohlenstoffentfernung unterscheiden um Transparenz und Nachverfolgung zu ermöglichen (wie bereits in Großbritannien und Schweden begonnen).

Die Schlussfolgerung für den Privatsektor: Ein neuer Wirtschaftszweig entsteht und er muss schnell ausgebaut werden. Vorausschauende Unternehmen und Branchen können an der Spitze dieser Entwicklung stehen, wenn sie die Gelegenheit ergreifen. Dies gilt für Technologieanbieter, Projektentwickler und emittierende Industrien, die NETs bereitstellen und nutzen können. Aber auch Unternehmen mit Klimazielen können einen glaubwürdigeren Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem sie einen Teil ihrer schwer zu reduzierenden Emissionen durch negative Emissionen neutralisieren, statt weniger dauerhafte und weniger glaubwürdige Kompensationsprojekte zu nutzen.

Wir können Sie bei der Strategieentwicklung rund um Ihre Klimaziele und die Rolle von Negativemissionen unterstützen, sowie Ihnen Einblicke in diese neue Branche und den Markt liefern. Kontaktieren Sie uns gerne für weiterführende Informationen.

Neues deutsches Klimaziel nur durch negative Emissionen erreichbar?

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021 musste die Bundesregierung das deutsche Klimaschutzgesetz nachschärfen. Laut überarbeitetem Gesetz muss Deutschland bereits im Jahr 2045 klimaneutral und bis 2050 treibhausgasnegativ sein. Diese höheren Klimaambitionen bedeuten auch eine frühere Nutzung von erheblichen Mengen an negativen Emissionen. Welche Änderungen gab es in der Klimagesetzgebung und was sagen die jüngsten Szenarien zu Carbon Removal für Deutschland?

Wie in unserem letzten Artikel über die globale Dimension und Notwendigkeit negativer Emissionen versprochen, wollen wir dieses Mal einen genaueren Blick auf Deutschland werfen. Das Industrieland ist bei der Dekarbonisierung seines Energiesystems sowohl bezüglich Geschwindigkeit als auch Umfang weltweit mit führend. Erneuerbare Energien machen bereits 45-50 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus. Im Jahr 2030 soll der Anteil 65 Prozent erreichen.

Aktualisiertes Klimaziel fordert Klimaneutralität bis 2045

Das deutsche Klimaschutzgesetz wurde im Juni 2021 aktualisiert, nachdem das Bundesverfassungsgericht Änderungen und ambitioniertere Maßnahmen gefordert hatte. Infolgedessen verschärfte die damalige Regierung die bisherigen Klimaziele hin zur Klima- oder Treibhausgasneutralität bis 2045. Ab 2050 soll Deutschland sogar treibhausgasnegativ sein. Abbildung 1 zeigt die historischen Emissionen, die im neuen Gesetz festgelegten Ziele und die möglichen netto-negativen Emissionen im Jahr 2050 gemäß der Studie Klimaneutrales Deutschland 2045 (Datenquellen: BMU, UBA, Agora Energiewende).

Abbildung 1: Historische Treibhausgasemissionen und Ziele für Deutschland in Mt CO2äq nach dem neuen Klimagesetz und Abschätzungen für netto-negative Emissionen durch Agora Energiewende (Quelle: cr.hub)

Für das Jahr 2021 rechnet Agora Energiewende mit dem stärksten jährlichen Anstieg der Emissionen seit 1990, mit einem Plus von knapp 50 Mt (Quelle: Agora Energiewende). Damit könnten die Emissionen in diesem Jahr wieder auf dem Niveau von 2019 vor Corona liegen. Die Emissionsreduktion um 40 Prozent gegenüber 1990, welche in 2020 knapp erreicht wurde, wäre damit wieder obsolet.

Sind negative Emissionen Teil der deutschen Klimastrategie? 

Noch vor einigen Jahren waren negative Emissionen oder CCS nicht Teil der Diskussion um die Klima- und Emissionsminderungsstrategien in Deutschland, zumindest nicht im politischen und auch nur bedingt im wissenschaftlichen Kontext. Diese Sichtweise hat sich jedoch verändert:

  1. Es wird immer deutlicher, dass in schwer zu dekarbonisierenden Sektoren (wie Industrie und Landwirtschaft) auch nach starker Emissionsminderung nicht vermeidbare Restemissionen bestehen bleiben werden.
  1. In Sektoren außerhalb des Stromsektors verläuft die Dekarbonisierung schleppend. Insbesondere die Sektoren Gebäude und Verkehr hinken hinterher. Sie könnten nach heutigem Stand nicht einmal die nötigen Emissionseinsparungen erbringen, um die alten und weniger ambitionierten Klimaziele zu erreichen.
  1. Die Klimaschutzbestrebungen sind gewachsen, da die Auswirkungen eines sich erwärmenden Planeten bereits deutlich sichtbar sind und auch von Seiten der Zivilgesellschaft stärkeres Handel gefordert wird. Auf EU-Ebene wurde das neue Ziel einer 55-prozentigen Emissionsreduzierung bis 2030 im Vergleich zu 1990 vereinbart, und Deutschland zog mit seinem neuen Klimagesetz nach.

Aus insbesondere diesen Gründen nehmen negative Emissionen in den jüngsten Szenarien und Studien zur Erreichung der deutschen Klimaziele wieder mehr Raum ein. Im Klimaschutzgesetz werden negativen Emissionen jedoch nur implizit im Bereich Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) erwähnt. Konkrete Ausbauziele für Technologien zur Generierung negativer Emissionen fehlen weiterhin.

Wie viele negative Emissionen braucht Deutschland?

In dieser Analyse präsentieren wir die Ergebnisse und Implikationen von drei detaillierten Veröffentlichungen der vergangenen drei Monate: die Studie Klimaneutrales Deutschland 2045 von Agora Energiewende, die Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland des Fraunhofer ISI im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums und das Arbeitspapier „Wissensstand zu CO2-Entnahmen“ des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

In Abbildung 2 ist der prognostizierte Bedarf an negativen Emissionen gemäß der drei genannten Veröffentlichungen in Deutschland dargestellt. Alle Studien stimmen darin überein, dass in Deutschland bis 2050 negative Emissionen in der Größenordnung von mehreren zehn bis hundert Millionen Tonnen CO2äq benötigt werden, um die nationalen Klimaziele zu erreichen.

Abbildung 2: Höhe der benötigten negativen Emissionen inklusive LULUCF-Sektor in Deutschland ab 2030 in Mt CO2äq (fehlende Zahlen in Studien wurden linear interpoliert) (Quelle: cr.hub)

Im Jahr 2020 emittierte Deutschland nach bisherigen Schätzungen etwa 740 Mt an Treibhausgasen. Wie Abbildung 2 zeigt, liegen die notwendigen negativen Emissionen zum Zeitpunkt der angestrebten Klimaneutralität in 2045 bei 67 bis 100 Mt CO2äq, also zwischen 9 und 13 Prozent der Emissionen in 2020. Die Skalierung von natur-basierten und technologischen Lösungen und Technologien ist bereits ab heute und in diesem Jahrzehnt erforderlich. Momentan ist der Einsatz von Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre vergleichsweise teuer. Zur Senkung dieser Kosten bedarf es massiver Investitionen in die technische und organisatorische Infrastruktur, und umfassender politischer und ökonomischer Förderung.

Das neue deutsche Klimaschutzgesetz berücksichtigt negative Emissionen bereits zu einem gewissen Grad. Es zielt auf einen Beitrag des LULUCF Sektors von 25, 35 und 40 Mt in den Jahren 2030, 2040 bzw. 2045. Allerdings leidet Carbon Removal in der Landnutzung und der Forstwirtschaft unter teilweise geringer Dauerhaftigkeit der Entnahme aus der Atmosphäre, schwieriger Bilanzierung und möglicher Reversibilität durch falsch ausgerichtete Managementpraktiken oder natürliche Ereignisse wie Waldbrände.

Alle drei Studien legen dar, dass zusätzlich zu den negativen Emissionen aus dem LULUCF Sektor als Teil der natur-basierten Carbon Removal-Lösungen voraussichtlich auch technologische Lösungen für negative Emissionen benötigt werden. In einem kommenden Artikel werden wir tiefer in die vorgeschlagenen Arten von Negativemissionstechnologien (NETs) zur Erreichung der deutschen Klimaziele eintauchen und das Potenzial einiger dieser Lösungen aufzeigen.

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Wie viel Kohlenstoff müssen wir aus der Atmosphäre entfernen? Globale Szenarien

Netto-Null-Ziele rücken in den Mittelpunkt der Klimapolitik und -maßnahmen. Je nachdem, wie schnell die CO2-Emissionen in den kommenden Jahren zurückgehen und welches Ambitionsniveau für Klimaziele gilt, werden negative Emissionen und damit die Entfernung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre entscheidend für das Erreichen globaler Klimaziele sein. Um ein besseres Bild von der erforderlichen Größenordnung zu bekommen, analysieren wir im Folgenden einige aktuelle globale Net Zero-Szenarien.

Netto-Null-Terminologie

Selbst nach starken Emissionsminderungen in allen Wirtschaftsbereichen können noch Restemissionen auftreten. Aus der Atmosphäre müssen dann aktiv Treibhausgase entfernt werden, um die Emissionen bilanziell weiter zu verringern. Ein Land oder eine Organisation erreicht Netto-Null-Emissionen oder Klimaneutralität, wenn die Menge an entfernten Emissionen diejenige der Restemissionen erreicht, wenn also bilanziell keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen. Die aus der Atmosphäre entfernten Mengen werden auch als negative Emissionen bezeichnet. Es gibt verschiedene Technologien und Lösungen für negative Emissionen, die sich heute hauptsächlich auf die Entfernung von CO2 – als wichtigstes Treibhausgas – aus der Atmosphäre konzentrieren. Daher sind diese Lösungen auch als Carbon Removal bekannt.

Allerdings muss zwischen Carbon Removal, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage: CCS) sowie Kohlenstoffabscheidung und -nutzung (Carbon Capture and Use oder Utilisation: CCU) unterschieden werden. CCS verhindert, dass Emissionen aus fossilen Brennstoffen überhaupt erst in die Atmosphäre gelangen, entfernt aber keine Emissionen aus der Atmosphäre. Insofern handelt es sich nicht um eine negative Emissionstechnologie oder –lösung. CCU bezieht sich auf die Verwendung von abgeschiedenem CO2 bei der Herstellung von Kraftstoffen oder anderen Produkten. Ob ein bestimmtes CCU-Verfahren und -Produkt tatsächlich zu negativen Emissionen führt oder nicht, hängt davon ab, woher das abgeschiedene CO2 stammt und wie lange die Lebensdauer des betreffenden Produkts ist. Abbildung 1 erklärt den Unterschied zwischen Carbon Removal, CCU und CCS.

Abbildung 1: Unterschiede zwischen Carbon Removal, CCU und CCS (Quelle: cr.hub)

Die richtige Terminologie ist also wichtig, wenn glaubwürdige Netto-Null-Ziele oder Klimastrategien festgelegt und konkret erreicht werden sollen. Ebenso müssen die Begriffe bei der Bewertung von Netto-Null-Zielen oder -Szenarien klar definiert sein.

Bewertung von globalen Szenarien

Aufgrund der großen Anzahl globaler Klimaszenarien konzentrieren wir uns hier nur auf einige wenige. Abbildung 2 zeigt einen beispielhaften Emissionspfad für das Erreichen des 1,5°C-Ziels, wobei traditionelle Technologien zur Minderung von Emissionen, wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz, sowie die Carbon Removal separat dargestellt werden. Der Abbildung liegen die Daten der Klimaszenarien des Network for Greening the Financial System (NGFS) für Zentralbanken und Aufsichtsbehörden zugrunde.

Abbildung 2: Notwendige Größenordnung für Carbon Removal für einen Emissionspfade für 1,5 °C (Quelle: cr.hub)

Um den Umfang dieser Analyse möglichst breit zu halten und nicht nur in eine Richtung zu schauen, betrachten wir Szenarien und Berechnungen von fünf verschiedenen Organisationen:

Die Net Zero by 2050 Roadmap der Internationalen Energieagentur (IEA), das Konsultationspapier Reaching climate objectives: the role of carbon dioxide removals der Energy Transitions Commission (ETC), den Special report: Global warming of 1.5°C des Weltklimarats (IPCC), McKinsey’s Climate math: What a 1.5-degree pathway would take und die Klimaszenarien des NGFS. Einige Angaben zu den benötigten Negativemissionen wurden aus dem Bericht The case for Negative Emissions der Coalition for Negative Emissions destilliert. Wir sind uns bewusst, dass diese Auswahl nur einen Teil der verfügbaren Literatur abbildet.

Alle betrachteten Szenarien zielen darauf ab, den Temperaturanstieg gegenüber dem vorindustriellen Niveau unter 1,5 °C zu halten. Trotzdem ist der Vergleich schwierig, da unterschiedliche Annahmen darüber bestehen, welcher Teil der Wirtschaft und somit welche Emissionen in das Szenario einfließen oder was genau als Negativemission gilt und was nicht. Darüber hinaus unterscheiden sich die Wahrscheinlichkeiten für das Einhalten einer bestimmten Temperaturschwelle zwischen den Szenarien und Studien.

All das zeigt, dass die Annahmen für die Modellierung und Szenarien für Net Zero so klar wie möglich ausgewiesen sein sollten, um die Ergebnisse bestmöglich einordnen und verstehen zu können.

Rasche Ausweitung von Carbon Removal erforderlich

Was haben die Szenarien gemeinsam?

Emissionsminderungen durch den großflächigen Einsatz erneuerbarer Energien und die Elektrifizierung großer Teile des Industrie- und Verkehrssektors sind in allen Szenarien enthalten. Dennoch stimmen alle Szenarien darin überein, dass ein erheblicher Bedarf an negativen Emissionen im Gigatonnen-Bereich (Gt CO2-äq) besteht, um das 1,5°C-Klimaziel zu erreichen, wie Abbildung 3 zeigt (Datenquellen: Coalition for Negative Emissions, IEA).

Außerdem müssen Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre bereits in diesem Jahrzehnt in großem Maßstab verfügbar sein und von einem sehr niedrigen Niveau heute bis etwa 2030 das Gt-Niveau erreichen. Angesichts der heutigen Treibhausgasemissionen von fast 50 Gt pro Jahr beläuft sich die Höhe negativer Emissionen nach den fünf Szenarien im Jahr 2050 auf etwa 5 bis 20 Prozent der aktuellen globalen Emissionen. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass negative Emissionstechnologien keine marginalen Anwendungen auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionen sind, sondern wichtige Voraussetzung, um mit den Restemissionen in schwer zu dekarbonisierenden Sektoren umzugehen.

Wo stimmen die Zahlen nicht überein und warum?

Am oberen Ende stehen die hohen Zahlen der ETC und des IPCC mit bis zu 10 Gt CO2-äq an Negativemissionen bis Mitte des Jahrhunderts, während die Net Zero Roadmap der IEA am unteren Ende mit einem erwarteten Bedarf von 2,4 Gt bis 2050 steht. Die IEA sieht eine Gesamtabscheidung von 7,6 Gt einschließlich CCS und CCU vor. Allerdings machen originär negative Emissionen nur etwa 30 Prozent davon aus. Die Szenarioannahmen der IEA beinhalten keine neuen Investitionen in Kohlekraftwerke ohne CCS und in neue Öl- und Gasfelder oder Kohleminen ab 2021, sowie den Ausstieg aus Kohlekraft ohne CCS weltweit bis 2030. Das Ambitionsniveau für klassische Emissionsminderung ist hier im Vergleich zu den anderen vier Szenarien sehr hoch.

Abbildung 3: Erforderliche negative Emissionen für 1,5°C-Klimaziele nach verschiedenen Szenarien in Gt CO2-äq/Jahr (Quelle: cr-hub)

Wird ein mittlerer Pfad wie in den NGFS- oder McKinsey-Szenarien ernst genommen, dann müssen Negativemissionstechnologien (NETs) in den kommenden Jahrzehnten schnell hochskaliert werden, um in den Gt-Bereich zu gelangen. Laut dem Bericht The case for Negative Emissions ist dafür eine Skalierung um mindestens das 50-fache gegenüber dem heutigen Stand erforderlich. Zumal die derzeitige Pipeline von Carbon Removal-Projekten einschließlich naturbasierter Lösungen, Bioenergie mit CCS und Direct-Air-Capture bis 2025 nur etwa 0,15 Gt beträgt (Quelle: Coalition for Negative Emissions).

Implikationen für die Politik

Das Erreichen von Netto-Null-Emissionen bis 2050 bei gleichzeitiger Begrenzung der globalen Temperatur auf unter 1,5°C erfordert beispiellose Anstrengungen und scheint ohne groß angelegte Nutzung negativer Emissionen kaum mehr zu erreichen. In der Tat sind sogar viele 2-Grad-Pfade von negativen Emissionen abhängig, wenn auch auf niedrigerem Niveau, insbesondere wenn internationale Klimaschutzmaßnahmen auf heutigem Niveau bleiben und nicht verschärft werden (Quelle: Minx, et. al., Fuss et. al.).

Politische Entscheidungsträger müssen sich nun Fragen wie diesen stellen:

  • Welche Möglichkeiten gibt es, Carbon Removal in Klimapolitik zu integrieren?
  • Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Politiken für Emissionsminderungen und für negative Emissionen?
  • Wie können NETs skaliert und Innovationen in diesem Sektor angereizt werden?
  • Wohin sollen Investitionen und Ressourcen fließen?
  • Wie können Carbon Removal Credits implementiert und in Emissionshandelssysteme wie dem EU ETS integriert werden?

Auf EU-Ebene sind die ersten Initiativen zur Unterstützung von Carbon Removal, wie etwa die Negative Emissions Platform auf dem Weg. Die Europäische Kommission will bis 2023 ein robustes Zertifizierungssystem für Carbon Removal vorschlagen. Darüber hinaus werden Forschung und Innovation zu Carbon Removal und CCS durch Horizon 2020 und das Nachfolgeprogramm Horizon Europe gefördert. Auch der Innovationsfonds, der 10 Mrd. EUR aus den Einnahmen des EU-Emissionshandelssystems erhält, schließt Förderung von kommerziellen Demonstrationsprojekten von kohlenstoffarmen Technologien wie CCS und NETs in seinen Rahmen ein.

Ein Beispiel dafür, wie erhöhte Klimaambitionen negative Emissionen erfordern, ist der Fall des neuen deutschen Klimaschutzgesetzes. In einem kommenden Artikel werden wir uns die Notwendigkeit von Carbon Removal auf Deutschlands Weg zur Treibhausgasneutralität genauer ansehen.

Wie bereitet sich die Industrie vor?

Für die Privatwirtschaft, insbesondere für Konzerne und Unternehmen, die sich Klimaziele setzen und ihre eigenen Netto-Null-Ziele anstreben, steigt die Komplexität der Diskussion. International anerkannte Standards für die Festlegung von Klimazielen und die Rolle von Minderung und Removal, wie etwa der Net Zero Standard der Science Based Targets Initiative, werden von großer Bedeutung sein (Quelle: SBTi).

Industriegeführte Initiativen zu freiwilligen Kohlenstoffmärkten wie die Taskforce for Scaling Voluntary Carbon Markets (TSVCM) werden ebenfalls benötigt, um die Nachfrage und den Markt voranzutreiben. cr.hub ist Teil der Konsultationsgruppe der TSVCM, welche kürzlich ihren Bericht zur zweiten Phase der Implementierung eines freiwilligen weltweiten CO2-Marktes veröffentlicht hat. Um echten Nutzen für das Klima zu erzielen, ist jedoch wichtig, dass nur qualitativ hochwertige Zertifikate für Minderungen und Carbon Removal in privatwirtschaftlichen und freiwilligen als auch staatlichen Initiativen berücksichtigt werden. Die Diskussion darüber, was hochwertige Carbon Removal Credits und Lösungen eigentlich ausmachen, führt hier zu weit. Wir werden dieses Thema jedoch in weiteren Beiträgen beleuchten.

Zusammenfassend wird klar, dass viele Akteure und Organisationen Carbon Removal und negative Emissionen in ihren Klima- und Energieszenarien und als potenzielles Instrument zur Erreichung von Netto-Null-Zielen ernst nehmen. Weiterhin müssen NETs stark skaliert werden um die notwendige Größenordnung zu erreichen.

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