Wie viel Kohlenstoff müssen wir aus der Atmosphäre entfernen? Globale Szenarien

Netto-Null-Ziele rücken in den Mittelpunkt der Klimapolitik und -maßnahmen. Je nachdem, wie schnell die CO2-Emissionen in den kommenden Jahren zurückgehen und welches Ambitionsniveau für Klimaziele gilt, werden negative Emissionen und damit die Entfernung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre entscheidend für das Erreichen globaler Klimaziele sein. Um ein besseres Bild von der erforderlichen Größenordnung zu bekommen, analysieren wir im Folgenden einige aktuelle globale Net Zero-Szenarien.

Netto-Null-Terminologie

Selbst nach starken Emissionsminderungen in allen Wirtschaftsbereichen können noch Restemissionen auftreten. Aus der Atmosphäre müssen dann aktiv Treibhausgase entfernt werden, um die Emissionen bilanziell weiter zu verringern. Ein Land oder eine Organisation erreicht Netto-Null-Emissionen oder Klimaneutralität, wenn die Menge an entfernten Emissionen diejenige der Restemissionen erreicht, wenn also bilanziell keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen. Die aus der Atmosphäre entfernten Mengen werden auch als negative Emissionen bezeichnet. Es gibt verschiedene Technologien und Lösungen für negative Emissionen, die sich heute hauptsächlich auf die Entfernung von CO2 – als wichtigstes Treibhausgas – aus der Atmosphäre konzentrieren. Daher sind diese Lösungen auch als Carbon Removal bekannt.

Allerdings muss zwischen Carbon Removal, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage: CCS) sowie Kohlenstoffabscheidung und -nutzung (Carbon Capture and Use oder Utilisation: CCU) unterschieden werden. CCS verhindert, dass Emissionen aus fossilen Brennstoffen überhaupt erst in die Atmosphäre gelangen, entfernt aber keine Emissionen aus der Atmosphäre. Insofern handelt es sich nicht um eine negative Emissionstechnologie oder –lösung. CCU bezieht sich auf die Verwendung von abgeschiedenem CO2 bei der Herstellung von Kraftstoffen oder anderen Produkten. Ob ein bestimmtes CCU-Verfahren und -Produkt tatsächlich zu negativen Emissionen führt oder nicht, hängt davon ab, woher das abgeschiedene CO2 stammt und wie lange die Lebensdauer des betreffenden Produkts ist. Abbildung 1 erklärt den Unterschied zwischen Carbon Removal, CCU und CCS.

Abbildung 1: Unterschiede zwischen Carbon Removal, CCU und CCS (Quelle: cr.hub)

Die richtige Terminologie ist also wichtig, wenn glaubwürdige Netto-Null-Ziele oder Klimastrategien festgelegt und konkret erreicht werden sollen. Ebenso müssen die Begriffe bei der Bewertung von Netto-Null-Zielen oder -Szenarien klar definiert sein.

Bewertung von globalen Szenarien

Aufgrund der großen Anzahl globaler Klimaszenarien konzentrieren wir uns hier nur auf einige wenige. Abbildung 2 zeigt einen beispielhaften Emissionspfad für das Erreichen des 1,5°C-Ziels, wobei traditionelle Technologien zur Minderung von Emissionen, wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz, sowie die Carbon Removal separat dargestellt werden. Der Abbildung liegen die Daten der Klimaszenarien des Network for Greening the Financial System (NGFS) für Zentralbanken und Aufsichtsbehörden zugrunde.

Abbildung 2: Notwendige Größenordnung für Carbon Removal für einen Emissionspfade für 1,5 °C (Quelle: cr.hub)

Um den Umfang dieser Analyse möglichst breit zu halten und nicht nur in eine Richtung zu schauen, betrachten wir Szenarien und Berechnungen von fünf verschiedenen Organisationen:

Die Net Zero by 2050 Roadmap der Internationalen Energieagentur (IEA), das Konsultationspapier Reaching climate objectives: the role of carbon dioxide removals der Energy Transitions Commission (ETC), den Special report: Global warming of 1.5°C des Weltklimarats (IPCC), McKinsey’s Climate math: What a 1.5-degree pathway would take und die Klimaszenarien des NGFS. Einige Angaben zu den benötigten Negativemissionen wurden aus dem Bericht The case for Negative Emissions der Coalition for Negative Emissions destilliert. Wir sind uns bewusst, dass diese Auswahl nur einen Teil der verfügbaren Literatur abbildet.

Alle betrachteten Szenarien zielen darauf ab, den Temperaturanstieg gegenüber dem vorindustriellen Niveau unter 1,5 °C zu halten. Trotzdem ist der Vergleich schwierig, da unterschiedliche Annahmen darüber bestehen, welcher Teil der Wirtschaft und somit welche Emissionen in das Szenario einfließen oder was genau als Negativemission gilt und was nicht. Darüber hinaus unterscheiden sich die Wahrscheinlichkeiten für das Einhalten einer bestimmten Temperaturschwelle zwischen den Szenarien und Studien.

All das zeigt, dass die Annahmen für die Modellierung und Szenarien für Net Zero so klar wie möglich ausgewiesen sein sollten, um die Ergebnisse bestmöglich einordnen und verstehen zu können.

Rasche Ausweitung von Carbon Removal erforderlich

Was haben die Szenarien gemeinsam?

Emissionsminderungen durch den großflächigen Einsatz erneuerbarer Energien und die Elektrifizierung großer Teile des Industrie- und Verkehrssektors sind in allen Szenarien enthalten. Dennoch stimmen alle Szenarien darin überein, dass ein erheblicher Bedarf an negativen Emissionen im Gigatonnen-Bereich (Gt CO2-äq) besteht, um das 1,5°C-Klimaziel zu erreichen, wie Abbildung 3 zeigt (Datenquellen: Coalition for Negative Emissions, IEA).

Außerdem müssen Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre bereits in diesem Jahrzehnt in großem Maßstab verfügbar sein und von einem sehr niedrigen Niveau heute bis etwa 2030 das Gt-Niveau erreichen. Angesichts der heutigen Treibhausgasemissionen von fast 50 Gt pro Jahr beläuft sich die Höhe negativer Emissionen nach den fünf Szenarien im Jahr 2050 auf etwa 5 bis 20 Prozent der aktuellen globalen Emissionen. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass negative Emissionstechnologien keine marginalen Anwendungen auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionen sind, sondern wichtige Voraussetzung, um mit den Restemissionen in schwer zu dekarbonisierenden Sektoren umzugehen.

Wo stimmen die Zahlen nicht überein und warum?

Am oberen Ende stehen die hohen Zahlen der ETC und des IPCC mit bis zu 10 Gt CO2-äq an Negativemissionen bis Mitte des Jahrhunderts, während die Net Zero Roadmap der IEA am unteren Ende mit einem erwarteten Bedarf von 2,4 Gt bis 2050 steht. Die IEA sieht eine Gesamtabscheidung von 7,6 Gt einschließlich CCS und CCU vor. Allerdings machen originär negative Emissionen nur etwa 30 Prozent davon aus. Die Szenarioannahmen der IEA beinhalten keine neuen Investitionen in Kohlekraftwerke ohne CCS und in neue Öl- und Gasfelder oder Kohleminen ab 2021, sowie den Ausstieg aus Kohlekraft ohne CCS weltweit bis 2030. Das Ambitionsniveau für klassische Emissionsminderung ist hier im Vergleich zu den anderen vier Szenarien sehr hoch.

Abbildung 3: Erforderliche negative Emissionen für 1,5°C-Klimaziele nach verschiedenen Szenarien in Gt CO2-äq/Jahr (Quelle: cr-hub)

Wird ein mittlerer Pfad wie in den NGFS- oder McKinsey-Szenarien ernst genommen, dann müssen Negativemissionstechnologien (NETs) in den kommenden Jahrzehnten schnell hochskaliert werden, um in den Gt-Bereich zu gelangen. Laut dem Bericht The case for Negative Emissions ist dafür eine Skalierung um mindestens das 50-fache gegenüber dem heutigen Stand erforderlich. Zumal die derzeitige Pipeline von Carbon Removal-Projekten einschließlich naturbasierter Lösungen, Bioenergie mit CCS und Direct-Air-Capture bis 2025 nur etwa 0,15 Gt beträgt (Quelle: Coalition for Negative Emissions).

Implikationen für die Politik

Das Erreichen von Netto-Null-Emissionen bis 2050 bei gleichzeitiger Begrenzung der globalen Temperatur auf unter 1,5°C erfordert beispiellose Anstrengungen und scheint ohne groß angelegte Nutzung negativer Emissionen kaum mehr zu erreichen. In der Tat sind sogar viele 2-Grad-Pfade von negativen Emissionen abhängig, wenn auch auf niedrigerem Niveau, insbesondere wenn internationale Klimaschutzmaßnahmen auf heutigem Niveau bleiben und nicht verschärft werden (Quelle: Minx, et. al., Fuss et. al.).

Politische Entscheidungsträger müssen sich nun Fragen wie diesen stellen:

  • Welche Möglichkeiten gibt es, Carbon Removal in Klimapolitik zu integrieren?
  • Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Politiken für Emissionsminderungen und für negative Emissionen?
  • Wie können NETs skaliert und Innovationen in diesem Sektor angereizt werden?
  • Wohin sollen Investitionen und Ressourcen fließen?
  • Wie können Carbon Removal Credits implementiert und in Emissionshandelssysteme wie dem EU ETS integriert werden?

Auf EU-Ebene sind die ersten Initiativen zur Unterstützung von Carbon Removal, wie etwa die Negative Emissions Platform auf dem Weg. Die Europäische Kommission will bis 2023 ein robustes Zertifizierungssystem für Carbon Removal vorschlagen. Darüber hinaus werden Forschung und Innovation zu Carbon Removal und CCS durch Horizon 2020 und das Nachfolgeprogramm Horizon Europe gefördert. Auch der Innovationsfonds, der 10 Mrd. EUR aus den Einnahmen des EU-Emissionshandelssystems erhält, schließt Förderung von kommerziellen Demonstrationsprojekten von kohlenstoffarmen Technologien wie CCS und NETs in seinen Rahmen ein.

Ein Beispiel dafür, wie erhöhte Klimaambitionen negative Emissionen erfordern, ist der Fall des neuen deutschen Klimaschutzgesetzes. In einem kommenden Artikel werden wir uns die Notwendigkeit von Carbon Removal auf Deutschlands Weg zur Treibhausgasneutralität genauer ansehen.

Wie bereitet sich die Industrie vor?

Für die Privatwirtschaft, insbesondere für Konzerne und Unternehmen, die sich Klimaziele setzen und ihre eigenen Netto-Null-Ziele anstreben, steigt die Komplexität der Diskussion. International anerkannte Standards für die Festlegung von Klimazielen und die Rolle von Minderung und Removal, wie etwa der Net Zero Standard der Science Based Targets Initiative, werden von großer Bedeutung sein (Quelle: SBTi).

Industriegeführte Initiativen zu freiwilligen Kohlenstoffmärkten wie die Taskforce for Scaling Voluntary Carbon Markets (TSVCM) werden ebenfalls benötigt, um die Nachfrage und den Markt voranzutreiben. cr.hub ist Teil der Konsultationsgruppe der TSVCM, welche kürzlich ihren Bericht zur zweiten Phase der Implementierung eines freiwilligen weltweiten CO2-Marktes veröffentlicht hat. Um echten Nutzen für das Klima zu erzielen, ist jedoch wichtig, dass nur qualitativ hochwertige Zertifikate für Minderungen und Carbon Removal in privatwirtschaftlichen und freiwilligen als auch staatlichen Initiativen berücksichtigt werden. Die Diskussion darüber, was hochwertige Carbon Removal Credits und Lösungen eigentlich ausmachen, führt hier zu weit. Wir werden dieses Thema jedoch in weiteren Beiträgen beleuchten.

Zusammenfassend wird klar, dass viele Akteure und Organisationen Carbon Removal und negative Emissionen in ihren Klima- und Energieszenarien und als potenzielles Instrument zur Erreichung von Netto-Null-Zielen ernst nehmen. Weiterhin müssen NETs stark skaliert werden um die notwendige Größenordnung zu erreichen.

Um mehr zu erfahren, nehmen Sie Kontakt mit uns auf oder abonnieren Sie unseren Newsletter.

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert