Carbon Removal auf dem Weg in den Mainstream? Der EU-Zertifizierungsrahmen für Kohlenstoffentnahme

Was ist der Zertifizierungsrahmen und warum ist er notwendig?

Im Dezember 2021 veröffentlichte die EU-Kommission ihren Beschluss über nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe (Sustainable Carbon Cycles), in welchem sie den Plan der EU zum Erreichen von Klimaneutralität bis 2050 unter anderem durch die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid aus verschiedenen Quellen präsentierte. Kernelemente sind:

  • Die Entwicklung eines Registers für die industrielle Kohlenstoffnutzung;
  • Die Festlegung eines Ziels für die Kohlenstoffbindung durch technologische Lösungen;
  • Stärkung einer klimaeffizienten Landwirtschaft zur Bindung von CO2 in Böden, um zum Ziel der Nettoentfernung von 310 Millionen Tonnen CO2-äq im Landsektor bis 2030 beizutragen.

Um die Umsetzung von Lösungen zur Kohlenstoffentnahme auszuweiten, ist es wichtig, einen Rechtsrahmen für die Zertifizierung von Carbon Removal Lösungen zu schaffen. Ende 2022 hat die Europäische Kommission weitere Informationen über den vorgeschlagenen freiwilligen und EU-weiten Rahmen veröffentlicht. Dieser EU-Zertifizierungsrahmen für Kohlenstoffentnahme (Carbon Removal Certification Framework – CRCF) adressiert einige noch offene Punkte. So, soll der CRCF durch die Einführung von Standards und Zertifizierungsverfahren Vertrauen aufbauen und damit Lösungen für die Kohlenstoffentnahme fördern, Konzepte für eine klimaeffiziente Landwirtschaft (carbon farming) unterstützen, und Greenwashing verhindern. Ebenso soll die Fähigkeit der EU zur Messung, Überwachung und Überprüfung von Kohlenstoffentnahmen gewährleistet sein und Finanzierungsmöglichkeiten aus öffentlichen und privaten Quellen angereizt werden.

Unter dem vorgeschlagenen Rahmen können Carbon Removal Projekte sowohl einen naturbasierten oder technologischen Ansatz verfolgen. Auch die Zertifizierung einer Kohlenstoffspeicherung in langlebigen Produkten oder Materialien ist möglich. Abbildung 1 gibt einen Überblick über verschiedene Methoden der Kohlenstoffentnahme, ihre konkrete Umsetzung und das finale Speichermedium für CO2.

Abbildung 1: Taxonomie der Kohlenstoffabscheidung (Quelle: IPCC)

Wichtig ist, dass Projekte zur Entnahme von Kohlenstoff im Rahmen der EU-Zertifizierung die QU.A.L.ITY-Kriterien erfüllen müssen. Sie müssen also:

  • QUantifizierbar und QUantifiziert sein;
  • Zusätzlichkeit (Additionality) zu den bestehenden Klimaeffekten aufweisen;
  • Langfristige Speicherung anstreben;
  • Zu weiteren Nachhaltigkeitszielen (sustainabilITY) beitragen.

In Anbetracht der häufigen Kritik an den Methoden und Praktiken an den freiwilligen CO2-Märkten ist die Schaffung eines Rechtsrahmens für Carbon Removal Aktivitäten von entscheidender Bedeutung. Diese Kritik bezieht sich häufig auf den Mangel an Aufsicht, Transparenz, Vertrauenswürdigkeit und Klimawirkung (Zusätzlichkeit) der Projekte und Zertifikate auf diesem Markt. All dies kann zu erheblichen Problemen für Unternehmen führen, die sich auf freiwillige CO2-Zertifikate verlassen, um Emissionen im Rahmen ihrer Klimastrategie auszugleichen oder zu neutralisieren, wie eine kürzlich durchgeführte Recherche gezeigt hat. Ein regulierter Markt hingegen könnte Vertrauen wiederherstellen, und auch sicherstellen, dass alle Projekte denselben Regeln in Bezug auf Buchführung, Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung unterworfen sind.

Wie würde der EU-Zertifizierungsrahmen funktionieren?

Der Zertifizierungsrahmen wird auf Kriterien und Zertifizierungsmethoden (Certification methodologies) beruhen, die von der EU-Kommission mit Unterstützung einer Expertengruppe entwickelt und voraussichtlich im Jahr 2024 veröffentlicht werden. Die Kommission erkennt dann private oder öffentliche Zertifizierungssysteme (Certification schemes) an, die Aktivitäten der Kohlenstoffentnahme registrieren, Audits und Zertifikate kontrollieren, öffentliche Register führen und auch die Carbon Removal Zertifikate ausstellen. Akteure (Operators), die Kohlenstoffentnahmen durchführen, wie etwa Landwirte, Biokohleproduzenten oder BECCS-Kraftwerksbetreiber, müssen von akkreditierten privaten Zertifizierungsstellen (Certification bodies) anhand der standardisierten Zertifizierungsmethoden auditiert werden. Erst nach einem erfolgreichen Audit und der Anerkennung durch das Zertifizierungssystem wird die Aktivität und die Kohlenstoffentnahme eines Akteurs zertifiziert (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Funktionsprinzip des Zertifizierungssystems (angepasst nach EU-Kommission)

Der aktuelle Vorschlag würde es der EU-Kommission erlauben, delegierte Rechtsakte zu erlassen, um die verschiedenen technischen Zertifizierungsmethoden festzulegen und die Regeln für die Zertifizierung und Anerkennung von Zertifizierungssystemen zu harmonisieren. Da es sich bei der Kohlenstoffentnahme um ein neues und sich rasch entwickelndes Feld handelt, müssen mit der Zeit sicherlich neue Zertifizierungsmethoden entwickelt werden.

Die nächsten Schritte zur Entwicklung der Methoden

Noch hat die EU-Kommission keine detaillierten Methoden oder Kriterien für die Kohlenstoffentnahme entwickelt. In den kommenden Monaten wird sich die externe Expertengruppe mit verschiedenen Carbon Removal Aktivitäten beschäftigen (die erste Sitzung fand am 7. März 2023 statt). Die Methodiken für eine klimaeffizienten Landwirtschaft (carbon farming) wird das Thema der nächsten Sitzung am 21. und 22. Juni 2023 sein werden. Der Zeitplan für die kommenden Sitzungen der Expertengruppe ist in Abbildung 3 dargestellt (Quelle: EU-Kommission).

Abbildung 3: Anstehende Sitzungen der Expertengruppe zur Kohlenstoffentnahme (Quelle: EU Kommission)

Der Vorschlag der Kommission muss auch vom Europäischen Parlament und vom Rat im Rahmen eines normalen Gesetzgebungsverfahrens angenommen werden. Ende April 2023 veröffentlichte der zuständige Ausschuss des Europäischen Parlaments seine erste Antwort mit Änderungsvorschlägen zum CRCF. Die Verbesserung der Überwachungs-, Haftungs- und Transparenzmechanismen und der Fokus auf langfristiges Carbon Removal sind für das Parlament prioritär, um qualitativ minderwertige Projekte zu verhindern. Die Antwort des Parlaments tritt für eine dauerhafte Kohlenstoffspeicherung auch außerhalb der EU-Mitgliedstaaten ein, sofern der Kohlenstoff in der EU entnommen und nach ähnlichen Regeln wie in der EU gespeichert wird. Dies würde den Weg für eine Berücksichtigung der geologischen Speicherung in Ländern wie Norwegen oder Island öffnen.

Unsere Einschätzung und zu lösende Herausforderungen

Der Vorschlag des EU-Zertifizierungsrahmens ist grundlegend zu begrüßen. Er gehört zu den ersten derartigen Zertifizierungsrahmen weltweit und betont die Notwendigkeit von Klimapolitik zur Förderung von Kohlenstoffentnahmen. Gleichzeitig setzt er auf Erfahrungen bestehender freiwilliger Kohlenstoffmärkte und fordert eine strenge und transparente Regulierungsaufsicht über die Zertifizierung von Carbon Removal Aktivitäten. Es müssen jedoch noch einige Fragen geklärt werden, um sicherzustellen, dass ein positiver Klimaeffekt von Carbon Removal im Rahmen des CRCF tatsächlich zum Tragen kommen kann: Die Kohlenstoffentnahmen durch naturbasierte Lösungen können kurzlebig sein, so dass die Klimaauswirkungen hier schnell wieder rückgängig gemacht sein könnten. Darüber hinaus ist noch unklar, wie mit den unterschiedlichen Risiken der Umkehrbarkeit der Kohlenstoffentnahme je nach Carbon Removal Tätigkeit umgegangen werden soll und welcher Akteur letztendlich (finanziell) verantwortlich sein wird.

Da es derzeit an Details zu den Methoden für die unterschiedlichen Carbon Removal Aktivitäten und auch entsprechenden Zertifizierungssystemen mangelt, sollte die EU-Kommission zusammen mit der Expertengruppe maßgeschneiderte Regeln für die verschiedenen Aktivitäten entwickeln. Besonders die Fragen der Umkehrbarkeit und der Haftungsmechanismen müssen dabei bedacht werden. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese Regeln und Methodiken in transparenter und kooperativer Weise unter Einbeziehung der Interessengruppen aus der gesamten Carbon Removal Branche entwickelt werden. Nur so ist sichergestellt, dass langfristige Lösungen der Kohlenstoffentnahme wirksam unterstützt werden und gleichzeitig klare Leitlinien für Haftung und Risikomanagement bestehen.

Sprechen Sie uns an, wenn Sie mehr über die vorgeschlagene Verordnung erfahren möchten und wissen wollen, wie sie sich auf Ihr Geschäftsmodell oder Ihre Kompensationsstrategie auswirkt.

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert