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Carbon Management und CCU/S in Deutschland

Die deutsche Bundesregierung erarbeitet zum Thema CO2-Speicherung und Nutzung derzeit eine Carbon Management Strategie. Denn, unstreitbar ist: Ohne die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 aus industriellen Prozessen (CCU/S) und der Atmosphäre kann Deutschland bis 2045 kaum klimaneutral werden. Grundlage für die Carbon Management Strategie ist unter anderem der neue Evaluierungsbericht zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz. In diesem Beitrag erläutern wir die wichtigsten Eckpunkte und Grundsätze einer solchen Strategie.  

Die CCU/S Nomenklatur

In Sinne einer einheitlichen Nomenklatur verwenden wir im Folgenden den Begriff Carbon Management als Überbegriff für den Umgang mit Kohlenstoff, der sowohl CO2-Abscheidung-, Transport- und Nutzung (CCU) oder -speicherung (CCS) von fossilen als auch biologischen oder atmosphärischen Quellen als Negativemissionen oder Carbon Dioxide Removal (BECCS und DACCS) beinhaltet. Ebenso ist der Umgang mit weiteren naturbasierten Lösungen zur Entnahme und Reduktion von Treibhausgasemissionen aus der Atmosphäre Teil des Carbon Managements (vergleiche Abbildung 1).

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Abbildung 1: Quellen und Senken von CO2-Emissionen der verschiedenen Bestandteile von Carbon Management (Quelle: carboneer)

Die Auswirkung auf das Klima und die technischen und ökonomischen Details der unterschiedlichen Technologien und Möglichkeiten sind komplex und bedürfen detaillierter Untersuchungen. Wenden Sie sich bei Interesse gerne an uns.

Carbon Management für Klimaneutralität notwendig

Anfang Januar 2023 reiste der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Norwegen, um dort weitere Kooperationen im Bereich Energie und Klima auszuloten. Ein wichtiger Bestandteil der Zusammenarbeit mit Norwegen soll dabei unter anderem das Thema Abscheidung-, Transport-, und Speicherung von CO2 werden. Im Zuge der verschärften Klimaziele auf EU und deutscher Ebene wird immer klarer, dass Treibhausgas- oder gar Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts ohne großtechnische Abscheidung, Nutzung und vor allem langfristige Speicherung von CO2 nicht zu erreichen sein wird. 

Gleichzeitig hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Dezember 2022 den Evaluierungsbericht der Bundesregierung zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) veröffentlicht. Das KSpG trat im August 2012 in Kraft und sollte erste Demonstrationsprojekte zur langfristigen Speicherung von CO2 im Erdboden in Deutschland erproben. Die Akzeptanz für die Speicherung von CO2 in Deutschland war in der Vergangenheit stets sehr gering, insbesondere da der Diskurs stark mit dem Einsatz von CO2-Abscheidung an Kohlekraftwerken und deren Weiterbetrieb verbunden war. Bis zum Ende der Frist zur Antragstellung für die Genehmigung neuer unterirdischer CO2-Speicher (Ende 2016) wurde jedoch nur ein Demonstrationsprojekt in Deutschland beantragt und gebaut. Da nach Ende 2016 keine neuen Anträge eingereicht werden können, ist die CO2-Speicherung im gesamten Bundesgebiet de facto nicht möglich. 

CO2-Abscheidung für Restemissionen in der Industrie

In Zukunft soll der Einsatz von CCS an Kohlekraftwerken in Deutschland aufgrund des geplanten Kohleausstiegs keine Rolle spielen, hingegen wird die Abscheidung-, Nutzung-, oder Speicherung von CO2 vor allem für eine klimaneutrale Industrie benötigt. So werden auch nach Einsatz erneuerbarer Energien oder Elektrifizierung große Mengen an prozessbedingte CO2-Emissionen etwa in der Kalk- und Zementindustrie oder in der Stahlindustrie anfallen. Ebenso ist Kohlenstoff die Ausgangsbasis für viele weitere wichtige Erzeugnisse in der Chemieindustrie und wird daher auch als Rohstoff benötigt. Im Projekt Langfristszenarien wird von etwa 30 Millionen Tonnen CO2 ausgegangen, die von industriellen Anlagen in Deutschland auch nach Erreichen der Klimaneutralität in 2045 abgeschieden, transportiert, wiederverwendet oder endgelagert werden müssen. Mögliche Standorte der Abscheidungsanlagen und Transportpipelines für CO2 sind in Abbildung 2 dargestellt.

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Abbildung 2: Mögliche CO2-Senken,- Quellen und -Netz in Deutschland in 2045 (Quelle: Langfristszenarien)

Hierbei fällt auf, dass sich in den Kerngebieten der deutschen Grundstoff- und Schwerindustrie Cluster von CCU/S-Standorten ansiedeln. Diese Clusterbildung ist vor allem ökonomischen Skaleneffekte für Infrastrukturen zur Abscheidung, dem Transport aber auch der potenziellen Wiederverwendung von CO2 geschuldet. Fokus der deutschen Carbon Management Strategie wird demnach vor allem auf dem Industriesektor und nicht auf der Abscheidung bei Kohleverstromung liegen.

Neben der Abscheidung von CO2 an industriellen Quellen muss jedoch auch der Einsatz von Carbon Removal Lösungen, also der physischen Entnahme von CO2-Emissionen aus der Atmosphäre forciert werden. Denn nur dadurch können auch die in 2045 weiterhin auftretenden Treibhausgasemissionen etwa aus der Landwirtschaft ausgeglichen werden. Die dafür notwendigen Negativemissionen liegen mit 45-80 Millionen Tonnen CO2 sogar auf einem höheren Niveau als die CO2-Abscheidungen in der Industrie. Wir haben die Details dazu hier und hier dargestellt.

Wichtige Grundsätze der deutschen Carbon Management Strategie

Dem Einsatz von CCU/S in der Industrie wird neben der Energie- und Ressourceneffizienz sowie dem Einsatz grüner Energieträger und der Elektrifizierung von Prozessen eine Rolle als Dekarbonisierungsoption zukommen. Wichtige Erkenntnisse aus den jüngsten Klimaneutralitätsstudien (Klimaneutrales Deutschland 2045, Klimapfade 2.0, dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität, Langfristszenarien) lassen folgende Einschätzungen zu:

  • Steigerung des Ambitionsniveau der Klimaziele führt zu verstärktem Einsatz von CCU/S
  • CO2-Abscheidung im Millionen Tonnen Bereich schon ab 2030 notwendig
  • Einsatz von CCS vor allem in der Industrie und dem Abfallsektor
  • Negativemissionen durch Carbon Dioxide Removal müssen spätestens ab 2030 skaliert werden
  • Die Permanenz der CO2-Entnahme und Speicherung durch naturbasierte Methoden ist unsicher und macht daher technische Lösungen ebenfalls notwendig
  • Fossiles CCU/S und technisches Carbon Dioxide Removal können gleiche Infrastrukturen nutzen und sollten integriert betrachtet werden
  • Transparenter und kontinuierlicher Dialog notwendig um gesellschaftliche Akzeptanz für den Hochlauf von CCU/S sicherzustellen
  • Erhebliche Mengen der CO2-Abscheidung auf globaler Ebene (6-12 Gt/Jahr je nach Szenario) auch durch CCS an fossilen Kraftwerken getrieben 

Der kürzlich veröffentlichte Evaluierungsbericht zum KSpG gibt der Bundesregierung folgende wesentlich Empfehlungen für die Überarbeitung mit: Prüfung und Anpassung von Regelungen des (grenzüberschreitenden) Transports von CO2 und bezüglich deutscher Endlagerstätten für CO2, die weitere Integration von CCU/S in das europäische Emissionshandelssystem (EU EHS), und die Entwicklung eines klaren Rahmens zur Bilanzierung von Negativemissionen. Die Details sollen in einer deutschen Carbon Management Strategie (Abbildung 3) durch die Bundesregierung herausgearbeitet und im Laufe des Jahres 2023 vorgestellt werden. 

Abbildung 3: Grundpfeiler für Carbon Management in Deutschland (Quelle: Bundesregierung)

Welche Themen müssen geklärt werden?

Im Zuge der deutschen Carbon Management Strategie soll zuerst eine Priorisierung von CCU/S Anwendungen erarbeitet werden. Dabei muss die Frage beantwortet werden, in welchen Industrien und welche Emissionen CCU/S-Maßnahmen am wichtigsten sind, um Ressourcen passgenau zu nutzen. Dies soll einhergehen mit der Anpassung der entsprechenden Regulatorik, etwa für Genehmigungsverfahren sowie der Entwicklung und Finanzierung von (Transport)Infrastrukturen. Auch Maßnahmen und Förderprogramme in speziellen Anwendungsgebieten sollen entwickelt werden.

Methodiken zum Monitoring, Reporting und Verifikation (MRV) für CCU/S müssen erarbeitet werden. So muss die Anrechnung von CCU/S im EU EHS und die Bilanzierung bei Verwendung von CO2 aus verschiedenen Quellen (fossil, industrieller Kreislauf, biogen, aus der Atmosphäre) in der chemischen Industrie und bei Herstellung von synthetischen Kraftstoffen geklärt werden.

Besonders die Möglichkeit des grenzüberschreitenden CO2-Transports wird EU-weit eine große Rolle spielen. Die norwegische Regierung hat diesbezüglich schon Angebote zur Speicherung von CO2 an die EU-Industrie herangetragen. Die Auslegung der Pipeline- und Schiffskapazitäten sowie Fragen der Netzregulierung und Finanzierung auf EU-Ebene sind dabei wichtige Themen. Die Synergieeffekte von CCU/S-Clustern zwischen Industrien als Quellen und Senken von CO2 müssen eruiert werden, um bei der Planung von Infrastrukturen die effizientesten Lösungen zu finden. 

Damit mögliche CO2-Speicher auch auf deutschem Gebiet (voraussichtlich eher unter dem Meeresboden als unter dem Festland) Realität werden, muss gesellschaftliche Akzeptanz für die Abscheidung und Endlagerung von CO2 aufgebaut werden. Dies kann nur durch klare und transparente Kommunikation bezüglich der Notwendigkeit von CCU/S für ein klimaneutrales Europa und Deutschland geschehen.  

Wir halten Sie bezüglich der aktuellen Entwicklungen zur deutschen Carbon Management Strategie auf dem Laufenden. Kontaktieren Sie uns gerne bei Fragen zum Thema. 

Welches Potenzial haben Negativemissionen in Deutschland?

Durch das aktualisierte deutsche Klimaschutzgesetz werden Negativemissionstechnologien (NETs) und Kohlenstoffentfernung aus der Atmosphäre notwendig (Lesen Sie als Hintegrund unseren vorangegangenen Artikel). Hier wollen wir die Frage klären, welche Lösungen dazu in Deutschland eingesetzt werden können und welches Potenzial sie haben. Die wichtigste Erkenntnis: Sowohl naturbasierte als auch technologische Lösungen zur Kohlenstoffentfernung werden im Megatonnen-Maßstab notwendig sein.

Neue Studien bestätigen Notwendigkeit der Kohlenstoffentfernung

Im Oktober 2021 wurden zwei neue Studien veröffentlicht, die Wege aufzeigen, wie Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann. Die dena-Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ der Deutschen Energie-Agentur und der Ariadne-Bericht im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Kopernikus-Projekts machen deutlich, dass erhebliche Mengen an negativen Emissionen erforderlich sind, um schwierig zu reduzierende Emissionen aus Landnutzung, Landwirtschaft oder Industrie auszugleichen. Abbildung 1 zeigt den jährlichen Bedarf an negativen Emissionen in Deutschland im Jahr 2045 unter Einbeziehung der Daten aus den neuesten Studien.

Abbildung 1: Erforderliche jährliche negative Emissionen in MtCO2-äq im Jahr 2045 in Deutschland (Quelle: cr.hub)

Die neuesten Zahlen sind mit denen aus früheren Studien vergleichbar. Allerdings herrscht noch keine Einigkeit darüber, wie viel Kohlenstoff Deutschland aus der Atmosphäre entfernen muss. So liegen die jährlichen Negativemissionen die ab 2045 notwendig sind zwischen 40 und 100 MtCO2-äq. Im Durchschnitt deuten die Studien auf einen jährlichen Bedarf an Kohlenstoffentfernung von etwas mehr als 74 Mt CO2-äq hin.

Nicht nur die wissenschaftliche Gemeinschaft betont die Notwendigkeit negativer Emissionen, auch Industriegruppen und -verbände nehmen das Thema zunehmend ernst. In einem kürzlich veröffentlichten offenen Brief an die neue Bundesregierung haben eine Reihe von Großunternehmen unter der Stiftung 2 Grad die Notwendigkeit betont, einen politischen Rahmen für ein aktives Management des Kohlenstoffkreislaufs zu schaffen und mit der Entwicklung von Lösungen zur CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) zu beginnen.

Welche Technologien für negative Emissionen werden benötigt?

Grob können wir zwischen naturbasierten und technologischen Lösungen zur Kohlenstoffentfernung unterscheiden. Die vorherrschende naturbasierte Lösung ist (Wieder-)aufforstung, aber auch die Renaturierung von Mooren, die verstärkte Bindung von Kohlenstoff in Böden durch veränderte landwirtschaftliche Praktiken oder auch der Anbau von Seetang im Meer fallen in diese Kategorie.

Auf der technologischen Seite liegt der Schwerpunkt derzeit auf der direkten Abscheidung und Speicherung von CO2 aus der Luft DACCS (Direct Air Capturing and Carbon Storage). In Frage kommen auch Hybridlösungen wie Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS) oder die Herstellung von Biokohle, bei welchen Biomasse verwendet wird und ein technisches Verfahren zur Abscheidung oder Bindung des Kohlenstoffs in einer nicht reaktiven Form zum Einsatz kommt.

Wir erläutern und vergleichen hier eine Reihe dieser NETs. Abbildung 2 zeigt, welche der verschiedenen NETs auf der Grundlage ausgewählter Studien dazu beitragen können, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Die Antwort auf die Frage, welche NETs und Lösungen zur Kohlenstoffentfernung benötigt werden, ist simpel: alle!

Abbildung 2: Vergleich der jährlichen Kohlenstoffentfernung aus der Atmosphäre in MtCO2-äq verschiedener NETs in aktuellen Studien in Deutschland im Jahr 2045 (Quelle: cr.hub)

Die unterschiedlichen naturbasierten Lösungen sind in Abbildung 2 in der Kategorie Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) zusammengefasst, die in den meisten Studien den größten Anteil der notwendigen Kohlenstoffentfernung ausmacht und oft nicht detaillierter betrachtet wird.

Darüber hinaus gehen die meisten Studien davon aus, dass erhebliche Kapazitäten technischer Lösungen, wie BECCS und DACCS erforderlich sind. Insbesondere für den Fall, dass naturbasierte Lösungen nicht in der Lage sind, diese Größenordnung von Kohlenstoffentfernung zu liefern, sind technische Lösungen erforderlich.

Exotischere Lösungen für Carbon Removal wie die Beschleunigte Verwitterung stehen kaum im Vordergrund. Die Verwendung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre als Ausgangsstoff für die Herstellung von grünem Naphtha oder Methanol und für langlebige Kunststoffprodukte liegt im Bereich von 10 MtCO2-eq. Es ist erwähnenswert, dass die verschiedenen Studien nicht unbedingt über das Potenzial oder die Kapazität der verschiedenen NETs übereinstimmen. Dies liegt auch daran, dass nicht alle Studien die gesamte Bandbreite an möglichen NETs berücksichtigen oder einen speziellen Fokus auf bestimmte Technologien und Senken legen.

Und nur zur Erinnerung: Im Jahr 2018 hat der LULUCF-Sektor in Deutschland nur 18 MtCO2-äq an negativen Emissionen geliefert (Quelle: dena). Das bedeutet, dass innerhalb der nächsten 23 Jahre eine Verdopplung bis Verdreifachung der jährlichen Kohlenstoffsenkenkapazität durch Wälder, Moorrenaturierung und Kohlenstoffbindung im Boden erreicht werden muss. Andernfalls wird die Abhängigkeit von bislang nicht skalierteten, technischen Lösungen noch größer.  

Potenzial negativer Emissionen in Deutschland

Wie oben dargestellt, gibt es keinen Königsweg oder eine NET, um den überschüssigen Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen und Deutschland bis 2045 wirklich klimaneutral zu machen. Vielmehr werden alle Lösungen und Technologien benötigt. Um einen besseren Überblick darüber zu erhalten, wie ein solches Portfolio der Kohlenstoffentfernung auf Landesebene aussehen kann, haben wir die Zahlen aus dem Ariadne-Projektbericht verwendet und die Potenziale der verschiedenen NETs verglichen. Abbildung 3 zeigt die Anteile der verschiedenen NETs in Deutschland im Jahr 2045 gemäß dem Bericht des Ariadne-Projekts mit einem Gesamtpotenzial von fast 110 MtCO2-eq.

Abbildung 3: Potenzieller Anteil verschiedener NETs in Deutschland bis 2045 nach Ariadne-Projekt, hellgrüner Keil repräsentiert LULUCF (Quelle: cr.hub)

Der hellgrüne Keil, der 46 Prozent des gesamten Potenzials negativer Emissionen ausmacht, repräsentiert den LULUCF-Sektor. Dieser lässt sich unterteilen in Waldsenken ((Wieder-)aufforstung), Kohlenstoffbindung im Boden und Kohlenstoffspeicherung durch veränderte landwirtschaftliche Praktiken wie Agroforstwirtschaft. Technologische Lösungen wie BECCS und DACCS machen 37 Prozent des gesamten Potenzials für Carbon Removal aus, Biokohle und verbesserte Verwitterung insgesamt 17 Prozent.

Der Weg in die Zukunft

Die jüngsten Ergebnisse der Klima- und Energiesystemmodellierung verschiedener Forschungsgruppen sind eindeutig: Die Entfernung von Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre spielt eine wichtige Rolle bei der Erreichung der deutschen Klimaziele. Im Jahr 2045 muss die Kapazität vorhanden sein, 10 Prozent der Treibhausgasemissionen, die Deutschland im Jahr 2020 emittiert hat, aus der Atmosphäre zu entfernen.

Das ist kein leichtes Unterfangen. Die Kapazität zur Kohlenstoffentfernung durch den LULUCF-Sektor beträgt heute nur ein Fünftel bis ein Viertel der in 2045 benötigten Negativemissionen. Weiterhin könnte der Klimawandel die Kohlenstoffspeicherkapazität naturbasierter Lösungen in den kommenden Jahrzehnten weiter mindern. Wenn natürliche Kohlenstoffsenken nicht ausreichen, werden technische und hybride Carbon Removal Lösungen wie BECCS, DACCS oder Biokohle wichtiger.

Die jüngsten Studien, die in diesem Artikel betrachtet werden, kommen zu unterschiedlichen Zahlen für die benötigten Kapazitäten und Potenziale der verschiedenen NETs, wie Abbildung 2 zeigt. Es ist wichtig, eine strukturierte Diskussion darüber zu beginnen, wie die Studien zu den Potenzialen und Kapazitäten der verschiedenen NETs kommen. Damit kann die Wissenschaft ein Verständnis für die Annahmen und die Möglichkeit für einen ganzheitlichen Modellierungsrahmen für negative Emissionen entwickeln.

Auf politischer Ebene sind die Ausarbeitung eines Rahmens für ein aktives Management des Kohlenstoffkreislaufs (Active Carbon Management) zusammen mit Maßnahmen zum Wissensaufbau und der Wiederaufnahme eines öffentlichen Dialogs über Carbon Removal und CCS als notwendige und wichtige Bestandteile auf dem Weg zur Klimaneutralität die wichtigsten Schritte. Darüber hinaus muss ein Prozess zur Überarbeitung der geltenden Vorschriften für die CO2-Speicherung und den CO2-Transport, möglicherweise grenzüberschreitend in einem europäischen Kontext, eingeleitet werden. Die deutschen Klimaziele sollten ebenfalls zwischen echter Emissionsreduzierung und Kohlenstoffentfernung unterscheiden um Transparenz und Nachverfolgung zu ermöglichen (wie bereits in Großbritannien und Schweden begonnen).

Die Schlussfolgerung für den Privatsektor: Ein neuer Wirtschaftszweig entsteht und er muss schnell ausgebaut werden. Vorausschauende Unternehmen und Branchen können an der Spitze dieser Entwicklung stehen, wenn sie die Gelegenheit ergreifen. Dies gilt für Technologieanbieter, Projektentwickler und emittierende Industrien, die NETs bereitstellen und nutzen können. Aber auch Unternehmen mit Klimazielen können einen glaubwürdigeren Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem sie einen Teil ihrer schwer zu reduzierenden Emissionen durch negative Emissionen neutralisieren, statt weniger dauerhafte und weniger glaubwürdige Kompensationsprojekte zu nutzen.

Wir können Sie bei der Strategieentwicklung rund um Ihre Klimaziele und die Rolle von Negativemissionen unterstützen, sowie Ihnen Einblicke in diese neue Branche und den Markt liefern. Kontaktieren Sie uns gerne für weiterführende Informationen.

Wie viel Kohlenstoff müssen wir aus der Atmosphäre entfernen? Globale Szenarien

Netto-Null-Ziele rücken in den Mittelpunkt der Klimapolitik und -maßnahmen. Je nachdem, wie schnell die CO2-Emissionen in den kommenden Jahren zurückgehen und welches Ambitionsniveau für Klimaziele gilt, werden negative Emissionen und damit die Entfernung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre entscheidend für das Erreichen globaler Klimaziele sein. Um ein besseres Bild von der erforderlichen Größenordnung zu bekommen, analysieren wir im Folgenden einige aktuelle globale Net Zero-Szenarien.

Netto-Null-Terminologie

Selbst nach starken Emissionsminderungen in allen Wirtschaftsbereichen können noch Restemissionen auftreten. Aus der Atmosphäre müssen dann aktiv Treibhausgase entfernt werden, um die Emissionen bilanziell weiter zu verringern. Ein Land oder eine Organisation erreicht Netto-Null-Emissionen oder Klimaneutralität, wenn die Menge an entfernten Emissionen diejenige der Restemissionen erreicht, wenn also bilanziell keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen. Die aus der Atmosphäre entfernten Mengen werden auch als negative Emissionen bezeichnet. Es gibt verschiedene Technologien und Lösungen für negative Emissionen, die sich heute hauptsächlich auf die Entfernung von CO2 – als wichtigstes Treibhausgas – aus der Atmosphäre konzentrieren. Daher sind diese Lösungen auch als Carbon Removal bekannt.

Allerdings muss zwischen Carbon Removal, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage: CCS) sowie Kohlenstoffabscheidung und -nutzung (Carbon Capture and Use oder Utilisation: CCU) unterschieden werden. CCS verhindert, dass Emissionen aus fossilen Brennstoffen überhaupt erst in die Atmosphäre gelangen, entfernt aber keine Emissionen aus der Atmosphäre. Insofern handelt es sich nicht um eine negative Emissionstechnologie oder –lösung. CCU bezieht sich auf die Verwendung von abgeschiedenem CO2 bei der Herstellung von Kraftstoffen oder anderen Produkten. Ob ein bestimmtes CCU-Verfahren und -Produkt tatsächlich zu negativen Emissionen führt oder nicht, hängt davon ab, woher das abgeschiedene CO2 stammt und wie lange die Lebensdauer des betreffenden Produkts ist. Abbildung 1 erklärt den Unterschied zwischen Carbon Removal, CCU und CCS.

Abbildung 1: Unterschiede zwischen Carbon Removal, CCU und CCS (Quelle: cr.hub)

Die richtige Terminologie ist also wichtig, wenn glaubwürdige Netto-Null-Ziele oder Klimastrategien festgelegt und konkret erreicht werden sollen. Ebenso müssen die Begriffe bei der Bewertung von Netto-Null-Zielen oder -Szenarien klar definiert sein.

Bewertung von globalen Szenarien

Aufgrund der großen Anzahl globaler Klimaszenarien konzentrieren wir uns hier nur auf einige wenige. Abbildung 2 zeigt einen beispielhaften Emissionspfad für das Erreichen des 1,5°C-Ziels, wobei traditionelle Technologien zur Minderung von Emissionen, wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz, sowie die Carbon Removal separat dargestellt werden. Der Abbildung liegen die Daten der Klimaszenarien des Network for Greening the Financial System (NGFS) für Zentralbanken und Aufsichtsbehörden zugrunde.

Abbildung 2: Notwendige Größenordnung für Carbon Removal für einen Emissionspfade für 1,5 °C (Quelle: cr.hub)

Um den Umfang dieser Analyse möglichst breit zu halten und nicht nur in eine Richtung zu schauen, betrachten wir Szenarien und Berechnungen von fünf verschiedenen Organisationen:

Die Net Zero by 2050 Roadmap der Internationalen Energieagentur (IEA), das Konsultationspapier Reaching climate objectives: the role of carbon dioxide removals der Energy Transitions Commission (ETC), den Special report: Global warming of 1.5°C des Weltklimarats (IPCC), McKinsey’s Climate math: What a 1.5-degree pathway would take und die Klimaszenarien des NGFS. Einige Angaben zu den benötigten Negativemissionen wurden aus dem Bericht The case for Negative Emissions der Coalition for Negative Emissions destilliert. Wir sind uns bewusst, dass diese Auswahl nur einen Teil der verfügbaren Literatur abbildet.

Alle betrachteten Szenarien zielen darauf ab, den Temperaturanstieg gegenüber dem vorindustriellen Niveau unter 1,5 °C zu halten. Trotzdem ist der Vergleich schwierig, da unterschiedliche Annahmen darüber bestehen, welcher Teil der Wirtschaft und somit welche Emissionen in das Szenario einfließen oder was genau als Negativemission gilt und was nicht. Darüber hinaus unterscheiden sich die Wahrscheinlichkeiten für das Einhalten einer bestimmten Temperaturschwelle zwischen den Szenarien und Studien.

All das zeigt, dass die Annahmen für die Modellierung und Szenarien für Net Zero so klar wie möglich ausgewiesen sein sollten, um die Ergebnisse bestmöglich einordnen und verstehen zu können.

Rasche Ausweitung von Carbon Removal erforderlich

Was haben die Szenarien gemeinsam?

Emissionsminderungen durch den großflächigen Einsatz erneuerbarer Energien und die Elektrifizierung großer Teile des Industrie- und Verkehrssektors sind in allen Szenarien enthalten. Dennoch stimmen alle Szenarien darin überein, dass ein erheblicher Bedarf an negativen Emissionen im Gigatonnen-Bereich (Gt CO2-äq) besteht, um das 1,5°C-Klimaziel zu erreichen, wie Abbildung 3 zeigt (Datenquellen: Coalition for Negative Emissions, IEA).

Außerdem müssen Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre bereits in diesem Jahrzehnt in großem Maßstab verfügbar sein und von einem sehr niedrigen Niveau heute bis etwa 2030 das Gt-Niveau erreichen. Angesichts der heutigen Treibhausgasemissionen von fast 50 Gt pro Jahr beläuft sich die Höhe negativer Emissionen nach den fünf Szenarien im Jahr 2050 auf etwa 5 bis 20 Prozent der aktuellen globalen Emissionen. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass negative Emissionstechnologien keine marginalen Anwendungen auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionen sind, sondern wichtige Voraussetzung, um mit den Restemissionen in schwer zu dekarbonisierenden Sektoren umzugehen.

Wo stimmen die Zahlen nicht überein und warum?

Am oberen Ende stehen die hohen Zahlen der ETC und des IPCC mit bis zu 10 Gt CO2-äq an Negativemissionen bis Mitte des Jahrhunderts, während die Net Zero Roadmap der IEA am unteren Ende mit einem erwarteten Bedarf von 2,4 Gt bis 2050 steht. Die IEA sieht eine Gesamtabscheidung von 7,6 Gt einschließlich CCS und CCU vor. Allerdings machen originär negative Emissionen nur etwa 30 Prozent davon aus. Die Szenarioannahmen der IEA beinhalten keine neuen Investitionen in Kohlekraftwerke ohne CCS und in neue Öl- und Gasfelder oder Kohleminen ab 2021, sowie den Ausstieg aus Kohlekraft ohne CCS weltweit bis 2030. Das Ambitionsniveau für klassische Emissionsminderung ist hier im Vergleich zu den anderen vier Szenarien sehr hoch.

Abbildung 3: Erforderliche negative Emissionen für 1,5°C-Klimaziele nach verschiedenen Szenarien in Gt CO2-äq/Jahr (Quelle: cr-hub)

Wird ein mittlerer Pfad wie in den NGFS- oder McKinsey-Szenarien ernst genommen, dann müssen Negativemissionstechnologien (NETs) in den kommenden Jahrzehnten schnell hochskaliert werden, um in den Gt-Bereich zu gelangen. Laut dem Bericht The case for Negative Emissions ist dafür eine Skalierung um mindestens das 50-fache gegenüber dem heutigen Stand erforderlich. Zumal die derzeitige Pipeline von Carbon Removal-Projekten einschließlich naturbasierter Lösungen, Bioenergie mit CCS und Direct-Air-Capture bis 2025 nur etwa 0,15 Gt beträgt (Quelle: Coalition for Negative Emissions).

Implikationen für die Politik

Das Erreichen von Netto-Null-Emissionen bis 2050 bei gleichzeitiger Begrenzung der globalen Temperatur auf unter 1,5°C erfordert beispiellose Anstrengungen und scheint ohne groß angelegte Nutzung negativer Emissionen kaum mehr zu erreichen. In der Tat sind sogar viele 2-Grad-Pfade von negativen Emissionen abhängig, wenn auch auf niedrigerem Niveau, insbesondere wenn internationale Klimaschutzmaßnahmen auf heutigem Niveau bleiben und nicht verschärft werden (Quelle: Minx, et. al., Fuss et. al.).

Politische Entscheidungsträger müssen sich nun Fragen wie diesen stellen:

  • Welche Möglichkeiten gibt es, Carbon Removal in Klimapolitik zu integrieren?
  • Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Politiken für Emissionsminderungen und für negative Emissionen?
  • Wie können NETs skaliert und Innovationen in diesem Sektor angereizt werden?
  • Wohin sollen Investitionen und Ressourcen fließen?
  • Wie können Carbon Removal Credits implementiert und in Emissionshandelssysteme wie dem EU ETS integriert werden?

Auf EU-Ebene sind die ersten Initiativen zur Unterstützung von Carbon Removal, wie etwa die Negative Emissions Platform auf dem Weg. Die Europäische Kommission will bis 2023 ein robustes Zertifizierungssystem für Carbon Removal vorschlagen. Darüber hinaus werden Forschung und Innovation zu Carbon Removal und CCS durch Horizon 2020 und das Nachfolgeprogramm Horizon Europe gefördert. Auch der Innovationsfonds, der 10 Mrd. EUR aus den Einnahmen des EU-Emissionshandelssystems erhält, schließt Förderung von kommerziellen Demonstrationsprojekten von kohlenstoffarmen Technologien wie CCS und NETs in seinen Rahmen ein.

Ein Beispiel dafür, wie erhöhte Klimaambitionen negative Emissionen erfordern, ist der Fall des neuen deutschen Klimaschutzgesetzes. In einem kommenden Artikel werden wir uns die Notwendigkeit von Carbon Removal auf Deutschlands Weg zur Treibhausgasneutralität genauer ansehen.

Wie bereitet sich die Industrie vor?

Für die Privatwirtschaft, insbesondere für Konzerne und Unternehmen, die sich Klimaziele setzen und ihre eigenen Netto-Null-Ziele anstreben, steigt die Komplexität der Diskussion. International anerkannte Standards für die Festlegung von Klimazielen und die Rolle von Minderung und Removal, wie etwa der Net Zero Standard der Science Based Targets Initiative, werden von großer Bedeutung sein (Quelle: SBTi).

Industriegeführte Initiativen zu freiwilligen Kohlenstoffmärkten wie die Taskforce for Scaling Voluntary Carbon Markets (TSVCM) werden ebenfalls benötigt, um die Nachfrage und den Markt voranzutreiben. cr.hub ist Teil der Konsultationsgruppe der TSVCM, welche kürzlich ihren Bericht zur zweiten Phase der Implementierung eines freiwilligen weltweiten CO2-Marktes veröffentlicht hat. Um echten Nutzen für das Klima zu erzielen, ist jedoch wichtig, dass nur qualitativ hochwertige Zertifikate für Minderungen und Carbon Removal in privatwirtschaftlichen und freiwilligen als auch staatlichen Initiativen berücksichtigt werden. Die Diskussion darüber, was hochwertige Carbon Removal Credits und Lösungen eigentlich ausmachen, führt hier zu weit. Wir werden dieses Thema jedoch in weiteren Beiträgen beleuchten.

Zusammenfassend wird klar, dass viele Akteure und Organisationen Carbon Removal und negative Emissionen in ihren Klima- und Energieszenarien und als potenzielles Instrument zur Erreichung von Netto-Null-Zielen ernst nehmen. Weiterhin müssen NETs stark skaliert werden um die notwendige Größenordnung zu erreichen.

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